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Das Buch : eine illustrierte Geschichte / Martyn Lyons

Es gibt Formen, die kaum zu verbessern sind, weil sie sich in ihrer Grundform über Dutzende, ja Hunderte von Jahren entwickelt haben. Löffel, Teller, Eimer, Bleistift oder Stuhl gehören dazu. Ebenso natürlich das Buch an sich, das seit über zweitausend Jahren zu den von jeder Generation neu entdeckten und weiterentwickelten und trotzdem in ihren grundsätzlichen Eigenschaften kaum veränderten Gegenständen gehört.
Martyn Lyons breitet in seinem in kurze, prägnante Abschnitte gegliederten Bildband die Geschichte des Buches vor uns aus: von den frühesten Schriftzeugnissen aus Mesopotamien, chinesischen und frühen buddhistischen Texte, der Entwicklung von Papyrus, Pergament und Papier als beschreibbaren Stoffen bis hin zum Buchdruck und zu den technischen Revolutionen der Drucktechnik und der Papierherstellung in der Neuzeit und Gegenwart.
Dabei geht er auch auf die Kodexform des Buches ein, die wir heute kennen und die sich aus dem Mangel an Papyrus für Schriftrollen entwickelte, der die Entwicklung von schwer rollbarem Papyrus beförderte und letztlich zur klassischen Bildung der Seiten zwischen zwei Buchdeckeln führte. Dabei geht er auch auf die nicht zu unterschätzende Rolle von Klosterbibliotheken für die Tradierung und Bewahrung antiker Texte und die Entwicklung der Buchillustration ein und zeigt dabei nicht nur Bilder wunderschön illuminierter mittelalterlicher Texte, sondern auch mit einer Abbildung aus der Bibliothek der Kathedrale von Hereford mit Libri Catenati eine Frühform der (mechanischen) Buchsicherung.
Vor diesem Hintergrund wird die Revolution der europäischen Nacherfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern erst in ihrer ganzen umwälzenden Kraft deutlich, die letztlich auch die Entwicklung der Wissenschaften massiv beförderte, aber auch von den herrschenden Mächten, Adel und Kirche, als Gefahr betrachtet wurde, zu Zensur und Indizierung führte und die Inquisition beschäftigte. Lyons beschreibt, wie gedruckte Bücher mehr und mehr zum geschäftsmodell wurden, Vorläufer der modernen Verlage entstanden mit zum Teil heute klassischen und wertgeschätzten Produkten (wie etwa bei Elzevir).
Die Weiterentwicklung des Buches und des Buchdrucks in den Jahren vor und nach der Aufklärung beschränkte sich dabei nicht nur auf die Drucktechnik, sondern führte letztlich auch zur Einführung und Verschärfung des Urheberrechtes im 18. und 19. Jahrhhundert nach zum Teil ähnlichen Konflikten, wie wir sie heute im Bereich des digitalen Urheberrechtes erleben: vorher hatten Autoren nach Ablieferung ihrer Manuskripte so gut wie keine Rechte mehr an ihren Werken, so dass der Verleger das Geschäft fast allein machen konnte und Raubkopien kaum geahndet werden konnten.
Natürlich darf in einem Buch über die Geschichte des Buches auch nicht die Mechanisierung des Buchdruckes mittels Satzmaschinen wie Linotype und Monotype, der industriellen herstellung von Papier und der mechanischen Druckverfahren fehlen, die mit einer verstärkten Rolle des Verlegers einherging und auch die Buchhandlungen und Leihbüchereien im 19. Jahrhundert erstmals flächendeckend erblühen liess. Groschenromane fanden ihren Weg in die Welt, befördert von einer zunehmenden Alphabetisierung und der von breiten Massen entdeckten Möglichkeit, sich bei zunehmender Freizeit mit Hilfe von Büchern nicht nur zu bilden, sondern auch zu unterhalten.
Für das 20. Jahrhundert macht Lyons unter anderem die Entstehung von zahlreichen Varianten des Buches als Meilensteine aus: Mangas, Taschenbücher (wie von Penguin und Reclam) , reich illustrierte Bildbände und Literaturpreise beförderten Absatz und Titelbreite, die Buchillustration wurde immer weiter professionalisiert. Bücher verloren ihren Status als Repräsentanten der Hochkultur, wurden wie Zeitungen zu globalen Medien und setzten damit lokale kulturelle Identitäten ins Spannungsfeld und den Kontext einer sich immer stärker vernetzenden Welt. Das Buch wurde so auch zum Konsumgut und zur Massenware, zum diversifizierten Produkt. Damit geriet das Buch auch in das Blickfeld von Feinden der offenen Gesellschaft, die mit Zensur, Verbotsanträgen oder – wie 1933 in Deutschland – mit Bücherverbrennungen die vom Buch beförderte Freiheit des Denkens bekämpften. D
Natürlich darf auch ein Ausblick auf die Digitalisierung und die Virtualisierung des Buches nicht fehlen, die Lyons als integraler Bestandteil der Entwicklung des Buchdruckes gesehen wird (worüber man durchaus anders denken kann).
Dabei sieht Lyons das Buch durchaus nicht in der Krise, über die oft gejammert wird: trotz Massenfertigung überlebe auch das handwerklich gut gemachte Buch in soliden Marktnischen, trotz Digitalisierung sieht er nicht die Vielfalt des Buchmarktes als solches bedroht.
Martin Lyons ist ein wunderbares, kurzweilig und doch mit einigem gewinn zu lesendes Buch gelungen, das die Geschichte des Buches nicht nur durch die europäische Brille betrachtet, sondern auch in den arabischen Raum und nach Asien blickt. Das Buch ist solide recherchiert und kann zudem mit ausgesprochen schönen und hochwertigen Illustrationen auf hochwertigem Papier glänzen. Ein kleines, feines Buch, für das man sich viel Zeit bei einem Glas roten Weines nehmen sollte.

6 Kommentare zu “Das Buch : eine illustrierte Geschichte / Martyn Lyons

  1. Schon die ersten Zeilen deiner Rezension weckten den Wunsch des Habenwollens in mir. Ich weiß, weshalb ich deine Seite besser meiden sollte…!! 🙂
    (Anbau ist genehmigt und in Planung!)
    Herzliche Grüße, Mme C.

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    • Vielleicht sollte ich doch Prozente bei den Verlagen einfordern? Dann könnte ich auch gelassen die potentiellen Schadenersatzklagen wegen notwendiger Anbauten abfedern, die durch Rezensionen auf Jargsblog befördert wurden 😉
      Viel Spaß mit dem Buch, gutes Gelingen beim Anbau und herzliche Grüsse von
      Jarg

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  2. Hallo Jarg, da warst Du einfach schneller als ich … Ich lese gerade „Das Buch“ und werde es auch auf DruckSchrift vorstellen ( obwohl Deinem Beitrag zugegebenermaßen kaum etwas hinzuzufügen ist). Ich bin ebenso wie Du angetan von diesem Buch. Grüße, Ingrid

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    • Hallo Ingrid,
      oh, danke schön! Das Buch verdient breite Aufmerksamkeit – und ich bin gespannt, welche Akzente deine Besprechung setzt.
      Liebe Grüsse von Jarg

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