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Die Geister, die uns folgen : eine Geschichte von Liebe und Krieg / Janine di Giovanni

Im Unterschied zu Frauen suchen sich Männer andere Schwerpunkte, schreiben viel über militärische Strategie und Waffen, immer wieder Waffen. Wer sie kauft, wer sie verkauft, woher das Geld stammt. Mich interessiert mehr, wie sich eine Mutter fühlt, die an der Front lebt und ihr Kind unter Kugelhagel zur Schule bringt. (SZ-Magazin 49/2011)

Janine di Giovanni schreibt seit über 20 Jahren unter anderem für die Times und die Herald Tribune aus Kriegs- und Krisengebieten. In „Die Geister, die uns folgen“ berichtet sie über ihre Arbeit, vor allem aber über die psychischen Folgen, die sie lange unterschätzt hat.

1993 lernt sie in Sarajevo den französischen Kameramann Bruno Girodot kennen. Zunächst verlieren sie sich wieder aus den Augen, treffen sich aber an anderen Kriegsschauplätzen wieder. Ihre Beziehung ist geprägt vom Schrecken der Kriege, die sie sehen, von Flucht, Angst, vom Anblick Toter und Verletzter. Sie begegnen sich an den verschiedensten Schauplätzen von Armut und Gewalt und auch ihr privates Leben steht immer im Schatten des beruflich Erlebten, ohne dass die Folgen zunächst spürbar sind. Sie bekommen mit, wie andere Kriegsberichterstatter im Einsatz sterben, sich als Folge des Traumas umbringen oder an ihren Erlebnissen verzweifeln. Sie leben ein dramatisches Leben, sind immer wieder unterwegs, manchmal ohne zu wissen, wo sie sich wiedersehen oder wann, um sich unverhofft im gleichen Land wiederzufinden.

Di Giovanni schreibt über Massengräber in Bosnien, über Waisenhäuser, wurde Zeugin von Morden in Ruanda, Somalia, war in Grosny und konnte nur als Tschetschenin verkleidet der Kriegshölle entkommen mit einem fremden, traumatisierten Kind auf dem Arm. Beide berichten aus diesen Gebieten, um etwas zu verändern, um aufmerksam zu machen auf die Not der Menschen, die Gewalt, das Morden und Unterdrücken, auf hungernde oder von Minen zerfetzte Kinder. Unter hohem Adrenalinpegel leben sie, wie es dem Leser erscheint, rastlos ihre Leben und ihre Liebe. Sie merken zunächst nicht, dass das Erlebte sie langsam aber sicher verändert, dass unendliches Leid zu sehen auf Dauer nicht ohne Folgen bleibt und es ihnen der häufige Aufenthalt im Grenzbereich des psychisch und physisch Erträglichen eines Tages schwer machen wird, Boden unter den Füßen zu spüren, als wären da „Geister, die uns folgen“.

Als sie 2004 von Bruno schwanger wird, entscheiden sie, nach Paris zu ziehen und das Kind dort zur Welt zu bringen. Für Di Giovanni, die Kriegs- und Krisenreporterin, werden Schwangerschaft, Geburt udn die ersten Lebensmonate des Kindes zu einer problematischen Zeit: sie reagiert darauf, in dem sie Stabilität überall zu erreichen sucht, wo sie es nur erreichen kann. Die geburt des Kindes selbst lässt Ängste in hier zutage treten, mit denen sie nie gerechnet hat, Ängste, die sie durch übertriebene Fürsorge und Vorratshaltung zu kompensieren versucht, bis sie lernt damit zu leben, akzeptiert, dass Paris anders ist als Sarajevo, dass hier so schnell keine große Katastrophe drohen wird und sie zwingt, die Stadt bei Nacht und Nebel zu verlassen. Der Leser bekommt den Eindruck, als hätten sich all die Ängste, all die Schmerzen, über den Di Giovanni in ihrem Reporterleben berichtet hat, sich ihrer bemächtigt. Mühsam lernt sie, sich nicht nur als Kriegsreporterin zu sehen, sondern auch als Mutter und Ehefrau.

Bruno, der ihr im ersten Jahr mit aller Kraft zu Seite steht, verändert sich aber zusehends, trinkt, erkrankt schwer am Rücken. Er ist nicht in der Lage, seine traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten und verfällt zusehends:

Er war nie verkatert, aber wenn ich morgens aufwachte, um nach dem Baby zu sehen oder an die Arbeit zu gehen, schlief er weiter, manchmal bis Mittag. Manchmal schlief er abends auf dem Sofa ein und wachte auf, wenn ich ins Bett ging. Nie schien er etwas zu essen. Wenn ich ihm etwas machte, guckte er nur widerwillig und aß einen Happen. Er ging nicht mehr aus. Er wollte niemanden mehr sehen.

»Glaubst du«, fragte ich Bruno eines Abends, »dass diese Geschichte uns kaputt gemacht hat?«
»Was für eine Geschichte?«
»Alles. Die Gräber, die Flammen, die Bomben. Alles.«
Er schwieg eine Weile, schenkte Wein nach.
»Hat es uns beschädigt?«
Nach einer Weile antwortete er: »Wie denn nicht?«

Sie beginnt, ihre eigenen traumatischen Erlebnisse besser einordnen zu können, bis sie sie nicht mehr beherrschen. Sie hat wieder begonnen zu arbeiten, reist in Krisengebiete, berichtet über Elend, Not und Gewalt. Doch etwas ist anders:

«Eines Tages, ich war mit Luca draußen auf der Straße, wurde mir auf einmal klar, dass ich keine Angst mehr hatte. Es war, als wäre die Sonne durch eine dichte Wolkendecke gestoßen. Vielleicht, weil Luca inzwischen älter war und ich wusste, dass er nicht mehr in die Steckdose fassen würde, und ich ihm sagen konnte, dass er vor Autos aufpassen müsse und nicht mit Fremden gehen dürfe, aber die metallische Furcht, die mich seit seiner Geburt begleitet hatte, war plötzlich wie verflogen. Stattdessen Leichtigkeit, Freude und ein bewohnbarer Ort, wo ich mich um ihn kümmern konnte, ohne ständig an die Vergangenheit denken zu müssen, an den Balkan oder Afrika, wo Nachbarn mit Macheten oder Gewehren übereinander herfallen. Mein Leben war nicht anders als das der anderen.“

Die Trennung von Bruno, der zusehends abgleitet in eigene Vorstellungswelten und seinen Lebensmittel- und Ruhepunkt bei den Anonymen Alkoholikern und obskuren esoterischen Romanen sucht, erfolgt 2009. Bewußt trifft sie diese Entscheidung und verschliesst alle Erinnerungen, alle Schmuckstücke, die Bruno ihr einst schenkte.

Und zuletzt legte ich meinen Ehering in ein kleines grünes Lederschächtelchen mit goldenem Verschluss. Ich klappte den Deckel zu, schloss ab und stellte es in ein Regal. Eine dramatische Geste, das war mir in dem Moment klar, doch ich musste dieses verrückte Ritual praktizieren.

Ich war traurig, aber nicht bitter.
Wir hatten einander etwas Unwahrscheinliches gegeben, etwas, was aus dem Krieg hervorgegangen war, diesem brutalen Lehrer, der uns beschädigt und in gewisser Weise zerstört hatte.
Unser Kind. Was wir gegeben hatten, konnte uns niemand nehmen.

Unklar bleibt mir persönlich bei DiGiovanni, wie sie nach all dem gesehenen Elend, dem Morden und der unsäglichen Gewalt noch eine Begründung für ihren offensichtlich vorhandenen, aber im Buch wohltuenderweise nie in den Vordergrund gestellten Glauben sehen kann, eine Frage, auf die mir bisher allerdings auch gläubige Freunde nie eine zufriedenstellende Antwort geben konnten. Deutlich wird dagegen, dass ihr Blick nicht selten ein anderer ist als der männlicher Kriegsberichterstatter und sie die Folgen des Gesehenen auf eine andere Weise zu verarbeiten sucht, als dies viele Männern tun würden.

Janine Di Giovanni ist ein bedrückendes und beeindruckendes Buch gelungen, das von den Schrecken des Krieges ebenso erzählt wie von der bizarren Position des beobachtenden Zeugen, der nur sehen und berichten, nicht aber eingreifen kann, und von den Bildern, die einen nicht los lassen und das eigene Leben zu beeinflussen beginnen. Es ist ein im emotionalen Sinne schweres Buch und eben deshalb keine leichte Lektüre, aber es macht auch deutlich, wie wichtig auch weiterhin seriöser Journalismus ist, der auf Mißstände aufmerksam macht, Ungerechtigkeit aufdeckt, die Menschen zu Hinsehen zwingt. Er zeigt aber auch, welche Opfer Reporterinnen und Reporter bringen, die sich freiwillig in Krisengebiete begeben und dabei auch traumatische Erfahrungen machen, die sie nicht selten erst später wahrnehmen.

13 Kommentare zu “Die Geister, die uns folgen : eine Geschichte von Liebe und Krieg / Janine di Giovanni

    • Liebe Madame Filigran,
      gern geschehen und vielen Dank für die Komplimente zur Rezension. Dann hoffe ich, dass ich nicht zu viel versprochen habe und wünsche eine intensive, berührende Lektüre!
      Liebe Grüße von
      Jarg

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  3. Hallo Jarg,
    das hört sich ein bisschen wie das Gegenstück – oder sagen wir, die Rückseite – von Navid Kermanis Buch an. Ich werde es mir irgendwann beschaffen müssen. Das Thema beschäftigt mich gerade ziemlich.
    Ansonsten kann ich mich derzeit nur Xenianas‘ Kommentar weiter oben anschliessen. Es ist grade verdammt schwierig, NICHT sofort das von Dir besprochene Buch zumindest mal anlesen zu wollen. Tolle Auswahl.
    Liebe Grüsse, Kai

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    • Hallo Kai.
      danke für den Hinweis auf Kermani, den ich noch nicht gelesen habe. Das Thema bewegt mich auch sehr, auch wenn ich es schwierig finde, hinzusehen und die Bilder zu ertragen, die solche Bücher einem (notwenigerweise!) im Kopf machen.
      Und danke für das Kompliment zur Auswahl auf Jargsblog 🙂
      Liebe Grüsse von
      Jarg

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  4. Oh dear, lieber Jarg, du rezensierst ja schneller, als ich lesen und folgen kann. Hochachtung!
    Dieses Buch scheint mir jedoch nichts für laue Sommerabende zur Erbauung beim Drink zu sein. Ich glaube, deine ausführliche Rezension genügt mir.
    Ganz liebe Grüße von der gewittrig warmen Küste
    Klausbernd, der sich gerade als Leser erbaulicher Bücher outed 😉

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    • Lieber Klausbernd,
      tatsächlich ist das Buch von Di Giovanni ganz sicher keines, dass man mit Genuß auf dem nach Blüten und Kräutern duftenden Balkon bei einer freundlichen Flasche Wein liest. Im Gegenteil: es ist eines jener Bücher, die einen leicht am Menschen an sich verzweifeln lassen können und nachts nach der Lektüre noch lange düster nachwirken. Insofern bin ich froh, es nicht im Urlaub gelesen zu haben, so beeindruckend es letztlich auch war. Und ganz sicher könnte ich nicht NUR Bücher dieser Art lesen.
      Liebe Grüsse aus diesem wunderbaren Sommer und dem etwas erfrischten Hamburg von
      Jarg

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  5. Ich sollte mir gut überlegen ob ich weiter deinen Blog lese:) Es führt einfach fast ausnahmslos dazu , dass ich das Buch bei der nächsten Buchhandlun bestelle…
    Eine Buchvorstellung die mich das Buch unbedint lesen lassen will. Danke!

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    • Gern geschehen! Es freut mich sehr, dass dir die Besrpechungen auf Jargsblog so oft Anregung zur Lektüre sind. Falls die Bücherkaufkosten durch diesen Blog überhand nehmen – einfach ausleihen bei der Bibliothek um die Ecke 😉
      Herzlich grüsst
      Jarg

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      • Das ist immer mein erster Versuch. Bisher bin ich (bis auf „Das Schiff im Baum“) nicht fündig geworden……
        Da ist man in Hamburg vermutlich im Vorteil:) viele Grüße Xeniana

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      • Ja, das mag sein: Ich habe zum Glück Zugriff auf zwei öffentliche Bibliotheken, darunter auch die Bücherhallen in Hamburg. Sonst würde die Masse meiner Lektüre unser Familienbudget deutlich überschreiten.
        Manchme Bibliotheken sind halt entweder zu klein oder haben nicht das Budget für speziellere Titel. Oder beides. Was sehr schade ist. Und in der Onleihe findet man (jedenfalls ich) ja leider auch nicht alle Bücher als eBooks wieder, die man in Printform gerne liest.
        Herzlich grüsst
        Jarg

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