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Irgendwie hatten wir uns das anders vorgestellt : der Traum vom perfekten Urlaub / Martin Hecht

„Ob ein Urlaub gelingt oder nicht: am Ende liegt es nur an uns selbst. Der dreckigste Strand, die übelste Herberge und der mieseste Fraß im Restaurant können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein gelungener Urlaub keineswegs von äußeren Faktoren abhängt. Es geht am Emde immer um ein Talent, eine erfüllte Zeit erleben zu können. […]. In jeder Urlaubsreise ist der Weg angelegt, wie wir diese innere Erfüllung finden könne. Denn freie Zeit motiviert uns immer, uns auf die Suche nach uns selbst zu begeben. Und fast immer ist es so: wer suchet, der findet. (S. 297)“

Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt: ich lese ja gerne Bücher über das Reisen und erwartete mehr oder weniger lediglich ein solides Buch über missglückte Reise und darüber, wie man es besser machen könnte. Im schlimmsten Fall hätte ich eines jener Bücher erwischt, die bissig über alle möglichen Dienstleistungen herziehen, nach dreissig Seiten jedoch unglaublich zu langweilen beginnen.

Doch das Buch von Martin Hecht erwies sich als weitaus mehr: es ist überaus amüsant, verfolgt sein Thema trotzdem mit großer Ernsthaftigkeit und entwickelt dabei eine erhebliche Tiefe. Es erwies sich somit bald als eines jener Bücher, bei denen ich flugs ei, zwei „Beipackzettel“ mit Anmerkungen fülle und ich mir schnll gewiss bin, dass die Rezension, um dem Buch auch nur ansatzweise gerecht zu werden und meiner Begeisterung Rechnung zu tragen, längere Zeit in Anspruch nehmen würde. Manche seiner Sätze sollte man sich an die Hotelzimmerwand hängen, um stets achtsam und wachsam zu sein für jene Momente, die so kostbar und flüchtig sind, dass wir uns gern von Äußerlichkeiten davon ablenken lassen. Hecht fordert uns implizit auf, den Urlaub mit einer entschlossenen Haltung anzutreten, die er in vielen Fällen als Voraussetzung sieht, um sich überhaupt einzulassen auf sich selbst – und andere:

„Ich bekenne freimütig, ich mag es, wenn mich im Urlaub Gleichgesinnte umgeben. Sobald ich mich als Teil einer Gemeinschaft fühle, versuche ich, die anderen noch mehr zu achten, als wenn ich einem Menschen nur zufällig begegne. So ist das vor allem im Urlaub. Gerade dem Besuch eines Hotels oder einer Ferienanlage sollte stets der Entschluss vorausgehen, an einer Gemeinschaftsveranstaltung teilzunehmen. Zumindest zeitweilig – und man sollte sich darauf freuen. (S. 75)“

Differenziert leuchtet er aus, was uns an der Fremde verlocken und abstoßen kann, lässt uns dem seltsamen Wesen des Mitreisenden begegnen in all seinen Ausformungen begegnen, führt uns durch die Bandbreite möglicher Erfahrungen in Hotels, Restaurants und Gasthäusern, beleuchtet eingehend die Vor- und Nachteile von Urlauben mit Freunden, mit Gruppen oder allein.

„Den Kontrapunkt zum parfümierten bildet im Übrigen der ungeduschte Mitgast. Kaum zu glauben, aber wahr, man begegnet ihm immer noch. Selbst in Spitzenhotels gelegentlich – und zwar vorzugsweise am Frühstücksbuffet, gerne am Aufschnitt schnüffelnd und das Tabeltt nach eingehender Beschnupperung wieder zurückstellend. Menschen, die vor dem Frühstück noch nicht geduscht haben und sich in grauer Baumwoll-Lümmelhose, Badeschlappen und öligem Haupthaar in den Frühstücksraum geschmuggelt haben. Den absoluten Höhepunkt aber bilden ungeduschte und zugleich schwer parfümierte Hausgäste. Das ist der Versuch, nächtlichen Wurzelsud durch Axe zu überdecken. Hier sollte die freiwillige Feuerwehr eingeschaltet werden. (S. 98)“

Doch Hechts Buch ist beleibe kein Lamento: mit feinem Humor analysiert er, was einen Urlaub gelingen und was ihn schiefgehen lässt, beleuchtet dabei auch die nicht selten überzogenen Erwartungen, die wir anspruchsvollen Reisemenschen daran stellen. Am Ende, im letzten Kapitel, zieht er Resümee und gibt wenige, aber ausgesprochen kluge Empfehlungen zu Dingen, Aktivitäten, Zuständen, die einen Urlaub „erfrischend“ werden lassen können. Dabei stehn für ihn ganz einfache Dinge im Mittelpunkt: Achtsamkeit, ein Gefühl für die Gegenwart und den Augenblick, Gelassenheit im Angesicht von Unbill. Nichtstun, Müßigkeit und Ziellosigkeit gehören für ihn ebenso dazu wie das zwecklose Streunen und Flanieren ohne die Checkliste von Sehenswürdigkeiten, die es abzuhaken gilt. Auch das Lesen gehört für ihn zu einem gelungenen Urlaub dazu:

„So vertieft in seine Geschichte zu sein, dass alles Äußere, was von dieser Welt ist, unwichtig wird, ja kaum mehr in unsere Wahrnehmung hineinragt, das kann einem nur beim Lesen geschehen. Das Schöne am Lesen ist nicht nur, dass es uns auf Dauer so beschäftigt, dass wir die große Dauersorge um unsere nähere und fernere Zukunft verlieren, sondern darin auch einen großen Genuß erleben. Lesen ist der Genuss, nicht nur unbeteiligter Zuschauer, sondern Teil einer anderen Welt zu sein, die vor unserem geistigen Auge entsteht. […]. Das ist sogar oft noch wohltuender als eine Fango-Anwendung. (S. 269)“

Hecht reist allein oder mit seinem 11jährigen Sohn und kennt dabei die ganze Bandbreite der Urlaubsmöglichkeiten vom einfachen Strandurlaub bis zur Nobelherberge. Das Buch ist aber wesentlich mehr als eine kluge Reflexion über die Kluft zwischen dem Traumurlaub, der Sehnsucht nach Entspannung vom harten Alltag und der harten Ferien- und Freizeitrealität. Hecht entwickelt so etwas wie eine Philosophie des Urlaubs und des Reisens, die sehr viel weiter geht als die bloße intellektuelle Reflextion menschlichen Freizeittreibens. Hecht geht klug und mit hoher sprachlicher und inhaltlicher Akkuratesse den Bedingungen auf den Grund, unter denen wir den Urlaub und letztlich auch das Leben geniessen können:

„Seine innere Ruhe zu finden ist aber die Voraussetzung, den Traum vom perfekten Urlaub wenigstens ansatzweise realisieren zu können. denn erst wer in sich ruht, erlebt einen entspannenden Urlaub. Oder um es mit einem chinesischen Sprichwort zu sagen: ‚Nur in einem ruhigen Teich spiegelt sich das Licht der Sterne‘ (S. 235).“

Während der Lektüre aber spürt man immer wieder, dass hier einer nicht nur über eigene Erfahrungen und Gedanken, verbundenen vielleicht mit denen seines Sohnes schreibt: zwischen den Zeilen ist auf sehr feine, subtile Weise und manchmal auch explizit spürbar, dass Hecht auch über einen Menschen, mit dem er viele Reiseerfahrungen geteilt hat und dessen Erfahrungen mit seinen eigenen verschmolzen sind. Hat man die Widmung des Buches zu Beginn der Lektüre gelesen, weiss man, dass es seine mittlerweile verstorbene Frau, die Mutter seines Sohnes war, mit der er viele glückliche Momente des Reisens erlebt hat. Hecht spricht es selten explizit aus – und doch spürt man, dass hier zwei Reisende gemeinsam glückliche Momente erlebt haben. Zwischen den zeilen scheint so neben dem feinen, manchmal spitzen Humor Hechts eine von leiser Melancholie gefärbte Wärme auf, die dem Buch einen ganz besonderen Reiz gibt.

Am Ende möchte man sich Hechts Thesen zum gelungenen Urlaub am liebsten gerahmt an die Wand hängen, so einleuchtend scheinen sie als Grundprämissen geeignet nicht nur für den Urlaub, sondern für die freie Zeit, die wir mit uns und anderen verbringen. So wird aus einer Philosophie des Reisens ein Stück Lebensphilosophie.

Ein wunderbares, sprachlich ansprechendes und inhaltlich kluges, warmherziges und humorvolles Buch, dass ich mit großem Genuss gelesen habe und jedem empfehlen kann, der gerne Reiseliteratur der etwas anderen Art liest.

„Entscheidend ist, dass wir die großen Pannen leichtnehmen. Das gilt vor allem im Hotel und Restaurant […] Humor ist eine Gegenreaktion unseres Wesens auf die Unbilden der Welt. Unser tätiger Verstand übernimmt dabei die entlastende Aufgabe, dieser scherzhaften Abwehrreaktion vor dem Leid durch einen schöpferischen Akt einen Begriff zu verleihen. wem das gelingt, der kann über (fast) alles lachen, was einem in solch einem Urlaub zustoßen kann. (S. 151)“

14 Kommentare zu “Irgendwie hatten wir uns das anders vorgestellt : der Traum vom perfekten Urlaub / Martin Hecht

  1. Schöne Rezension 🙂 Ich bin ja auch immer der Meinung, dass man kleine Fehler oder Unannehmlichkeiten mit einem Lächeln vergessen machen und nicht immer alles zu ernst nehmen sollte. Das verdirbt einem bloss die Laune am Urlaub 🙂 Andererseits finde ich nicht, dass es nur an uns selbst liegt, ob ein Urlaub gelingt oder nicht. Ich z.b. muss mich schon in einer Unterkunft wohl fühlen, um einen Urlaub wirklich genießen zu können. Wahrscheinlich deswegen sind wir jetzt schon seit einiger Zeit Stammgast bei einer Vermieterin, in deren Ferienwohnungen wir uns wirklich wohl fühlen.

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    • Schon klar: die Bedingungen sollten schon stimmen, soweit man sie vorher eruieren kann. Hecht geht es auch mehr um die Gelassenheit gegenüber den Dingen, die wir nicht ändern können, um eine achtsamere, weniger mit Erwartungen überfrachtete Art des Reisens und Urlaubens – und darum, aus jeder Situation das Beste zu machen.

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  2. So wie sich das anhört und anfühlt, spricht mir das jemand ziemlich aus der Seele. Nicht nur deshalb (aber wohl auch) habe ich mir diesen Buchtitel notiert.
    Als ich nur das Buchcover sah und den Text darauf las, hatte ich auch etwas völlig anderes, viel Seichteres erwartet.
    Deine Rezension macht sehr neugierig auf das ganze Buch und auf den, der es schrieb.

    LG Michèle

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    • Hallo Michèle,
      Ich wusste von einer Rezension her, dass das Buch nicht seicht ist. Aber es lag auch lange bei mir rum, bis ich es dann endlich las und meine Erwartungen weit übertroffen hat. Ein ganz wunderbares Buch mit erheblicher Tiefe – und unterhaltsam dazu.
      Viel Spaß beim Lesen und liebe Grüsse von
      Jarg

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    • Eben drum. Deshalb einfach das Beste daraus machen und die Erwartungen nicht ins Unermessliche treiben … das zeigt Hecht wunderbar in seinem Buch.

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  3. Ich weiß nicht, wer es zuerst gesagt hat, im einem Interview mit Hildegard Knef habe ich dem Sinn nach gelesen: Egal wo man ankommt, zuerst trifft man auf sich selbst. Stimmt. 🙂

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    • Oh ja, das stimmt unbedingt. Leider nehmen sich manche selbst stets so wichtig, dass sie auch woanders niemand anderem mehr begegnen als sich selbst. Das ist dann schade.

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      • Man hat sich halt immer dabei, ob man will oder nicht. Wer darüber die andern nicht sehen kann, ist tatsächlich arm dran. So habe ich jedenfalls Hildegard Knef damals verstanden.

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      • Ja, die Leute gibt es. Das sind die, die im Urlaub im anderen Land stets nur das Gewohnte suchen und sich nicht befremden lassen. Traurig.

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  4. Danke für die Vorstellung dieses Buches, das mich sehr anspricht.
    Geht nicht allem Gelungenen die innere Ruhe und Einstellung voran?
    Ich werde mir das Buch kaufen, ich habe es gebraucht beim Medimops gefunden.
    Einen schönen Tag wünscht dir und deine Familie
    Susanne

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    • Liebe Susanne,
      gern geschehen. Hecht hat wirklich eine besondere Art zu schreiben – ich hoffe, dass Buch gefällt Dir!
      Auch Dir einen zauberhaften Abend und einen schönen Sonntag!
      Herzlich grüsst
      Jarg

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