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Das geheime Leben der Bäume : was sie fühlen, wie sie kommunizieren – die Entdeckung einer verborgenen Welt / Peter Wohlleben

Nicht so die Birke, die sich ganz auf sich allein gestellt durchschlagen möchte. Doch auch sie bildet Holz, sogar noch viel schneller, und auch sie möchte und kann sich vermehren. Und woher kommt diese Energie? Kann diese Art etwa wirkungsvoller Fotosynthese betreiben als andere? Nein, das Geheimnis liegt in der völligen Verausgabung. Birken hetzen durch ihr Leben, leben dabei über ihre Verhältnisse und laugen sich letztendlich selber aus. (S. 165)

Im Frühjahr diesen Jahres sah ich den wunderbaren Film „Das Geheimnis der Bäume“ von Luc Jacquet, der mich und die Zwillinge gleichermaßen bezauberte und ein tiefes Gefühl der Bewunderung und des Respekts vor Bäumen und ihren Leistungen hinterliess. Das meinem Beitrag vorangestellte Zitat aus dem Film – Tiere und Menschen beherrschen den Raum – Bäume beherrschen die Zeit – könnte auch am Anfang dieser Rezension stehen. Nicht nur, weil der Titel dieses Buches an den erwähnten Film erinnert, sondern weil der Förster und Naturschützer Peter Wohlleben, der einen umweltfreundlich arbeitenden Forstbetrieb in der Eifel leitet, ein ganz und gar bemerkenswertes Buch vorgelegt hat, dass die magischen Bilder aus „Das Geheimnis der Bäume“ durch eine Vielzahl zum Teil verblüffender Informationen, Erkenntnisse und Beobachtungen ergänzt.

Nun mag der Skeptiker in uns in Anbetracht des Untertitels (Was sie fühlen, wie sie kommunizieren) möglicherweise vage esoterischen Spökenkram vermuten. Wohlleben zerstreut solche Zweifel jedoch rasch: Kenntnis- und erfahrungsreich führt er uns vor, welche faszinierenden Fähigkeiten und Überlebensstrategien diese unserem Zeit- und Lebensempfinden so fremd erscheinenden Lebensformen haben. Er zeigt, das Bäume tatsächlich eine Art Gedächtnis haben, Temperatur und Zeit messen können (etwa im Frühling) und in der Lage sind, kranke Nachbarbäume derselben Art oder ihre eigenen Nachkommen über ihre Wurzelsysteme und die mit ihnen in symbiotischer Beziehung lebenden Pilze mitzuversorgen. Es gibt Baumstümpfe, die seit Jahrzehnten nicht mehr ausgetrieben haben und trotzdem als Wurzelsystem noch leben – weil sie über Nachbarbäume versorgt werden.

Bäume sind in der Lage, über chemische Botenstoffe miteinander zu kommunizieren, verfügen über in Jahrmillionen bewährte, artspezifische Wachstumsstrategien, die etwa eine Buche dazu befähigen, letztlich über eine Eiche und ihren Schatten hinauszuwachsen und ihr Lebensraum streitig zu machen. Bäume lassen sich Zeit, brauchen zum teil Jahrzehnte, bis sie das erste Mal blühen und können sich dabei so verausgaben, dass sie nur alle paar Jahre große Mengen Früchte hervorbringen und danach Pause brauchen (wie in diesem Jahr bei vielen Eichen zu sehen war). Ihr Wassertransport ist teilweise bis zu einem Zentimeter je Sekunde schnell und noch nicht endgültig erforscht. Sie klimatisieren unsere Welt, ja schaffen sich eigene Klimahabitate, halten innerhalb einer Art oft zusammen.

Wohlleben zeigt, wie mächtig Bäume werden können (in den USA gibt es eine Zitterpappel, die sich im laufe der Jahrtausende aus einem Wurzelstock über 400.000 Quadratmeter ausbreitete und 40.000 Stämme gebildet hat. Verblüfft lesen wir, das Bäume wie die von vielen geschätzten Blutbuchen eigentlich nicht sehr überlebensfähige Mutationen sind, die nur durch die Vorliebe des Menschen für sie und die stete Wiederanpflanzung überleben können. Die Eiche, in Deutschland geschätztes Symbol für Robustheit, erweist sich im Wald als schwacher Baum, den Buchen über die Zeit zu besiegen vermögen, und spielt nur an Solitärstandorten ihre Stärken aus. Von uns unbemerkt tobt da so mancher endlos langsame Kampf im Wald. Ein Wald, den wir oft nur dann als schön erachten, wenn er bewirtschaftet wird: dabei wirkt er, wenn man ihn sich selbst überlässt, zwar leerer, enthält aber deutlich mehr Lebensvielfalt.

Verblüffend war für mich, wie unterschiedlich sich Bäume verhalten, ja dass es selbst innerhalb einer Art Unterschiede in den individuellen Überlebensstrategien gibt, die sich bei passender Umgebung durchaus evolutionär auswirken können. Und noch etwas gibt zu denken: die Zeit, die Bäume brauchen, um zu wachsen. Zeit, die wir ihnen oft ebensowenig lassen wir Platz. Wohlleben bezeichnet denn auch Bäume in Städten als Straßenkinder und zeigt, wie stark das verdichtete Erdreich das individuelle Leben dieses von seinen Artgenossen separierten Baumes prägt und seine Lebenszeit verkürzt.

Dabei beleuchtet er auch das Verhältnis zwischen Baum und Mensch, zeigt, wie sehr wir unsere Wälder mit der Anpflanzung von Fichten und Kiefern, die dort in der Regel nichts zu suchen haben, verändert haben und die Nutzenorientierung ein reiches Biotop hat verarmen lassen. Wohlleben übt dabei auch Kritik daran, Holz zum Heizen zu benutzen und zeigt, dass dadurch in Folge je Baum wesentlich mehr CO2 auch aus dem Waldboden freigesetzt wird als lediglich das, was im Baum gebunden ist. Deutlich wird auch, wie stark ein Wald das Klima verändert und weshalb wir Menschen uns instinktiv in Wäldern, oft bestimmten Wäldern, wohlfühlen.

Wohllebens Buch gehört für mich zu den schönsten Naturbüchern seit „Naturgenies„: er vermag sein Wissen überaus spannend zu vermitteln und man spürt in jeder Zeile die Faszination, die ihn selbst an sein Thema fesselt. „Das geheime Leben der Bäume“ lässt uns diese großen, unendlich langsamen Lebewesen mit völlig anderen Augen sehen und tiefen Respekt empfinden vor Bäumen und dem Wald. Ein wunderbares Buch, faszinierend und berührend zugleich. Zu Recht ein Bestseller.

9 Kommentare zu “Das geheime Leben der Bäume : was sie fühlen, wie sie kommunizieren – die Entdeckung einer verborgenen Welt / Peter Wohlleben

  1. Pingback: [Die Sonntagsleserin] Dezember 2015 | Phantásienreisen

  2. Ich finde es sehr spannend, dass die Natur wieder verstärkt in den Mittelpunkt der Literatur rückt. Ein weitere Beispiel ist ja da der Roman „Habicht“, der noch auf meinem Stapel liegt. Noch auf der Wunschliste steht ein Buch von Kerstin Ekman, die sich in „Der Wald“ ebenfalls mit dem Thema auseinandersetzt.

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    • „H wie Habicht“ ist ein ganz wunderbares Buch, für dass du dir viel Zeit nehmen solltest. Das Buch von Ekman kenne ich noch nicht – die Rezensionen dazu klingen aber sehr vielversprechend. Danke für den Tipp!

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  3. Ich habe neulich ein Interview mit Peter Wohlleben im Radio gehört und dabei festgestellt, dass er gar nicht weit von meiner ursprünglichen Heimat seinen Wirkungskreis hat und da auch Führungen und so anbietet. Habe ich mir schon vorgemerkt. Er hat wirklich eine schöne Art, das Thema hochinteressant an die Frau und den Mann zu bringen. Das Buch reizt mich sehr.

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    • Eine Führung mit ihm muss ausgesprochen spannend sein. Da meine beste Freundin im Hunsrück wohnt, hätte ich potentiell auch Gelegenheit, da mal vorbeizufahren. Viel Spaß mit dem faszinierenden Buch wünscht Dir
      Jarg

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  4. Soeben bestellt. 🙂 Ich habe Peter Wohlleben kürzlich im Frühstücksfernsehen gesehen in einem Beitrag und war fasziniert, wie und was er über Bäume erzählte. Seriös und kompetent und überhaupt nicht „spinnert“, sondern sehr interessant! Ich hätte ihm stundenlang zuhören können! 🙂 Das Buch interessiert mich, also habe ich es nun, nach Deiner Besprechung gleich bestellt. (Und habe gesehen, wie viele Bücher er schon geschrieben hat.). Vielen Dank an Dich fürs dran erinnern und ein schönes, kommendes Wochenende! Liebe Grüße von Nebenan

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    • Hallo Wolkenbeobachterin,
      Gern geschehen! Dann wünsche ich Dir, dass du ebenso fasziniert von dem Buch bist wie ich. Seit der Lektüre schaue ich anders auf Bäume – auch und gerade auf Stadtbäume, die mir jetzt manchmal so verloren vorkommen zwischen Betonplatten und gerade ausgerichteten Rasenflächen. Jetzt wünsche ich mir nur noch eine schöne Version des Buches für Kinder mit vielen Bildern, um die Faszination auch den Jüngeren zu vermitteln.
      Auch dir ein zauberhaftes Wochenende.
      Herzlich grüßt dich aus Hamburg ins Nebenan
      Der Jarg

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