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Der Mann, der einen Baum fällte und alles über Holz lernte / Robert Penn

Jeder dieser Gegenstände sprach für sich vom Geschick und Idealismus der Kunsthandwerker und Handwerker, die sie geschaffen hatten. Das Wissen dieser Menachen deutete auf eine Zeit hin, zu der das Verhältnis zwischen Mensch und Natur noch etwas sensibler und enger war. Gemeinsam sprachen die Gegenstände von der langen und kreativen Beziehung zwischen Menschheit und Esche, von einer Übereinkunft, die sich über Jahrtausende hinweg bewährt hatte und von einer Kultur an die andere weitergegeben worden war. Ich hatte eine Esche gefällt und das Beste aus ihrem Holz gemacht. Was könnte einfacher sein? Es war ein tief befriedigendes Unterfangen gewesen, das mich in einer sich ständig verändernden Welt fest an einem Ort verwurzelt hatte. (S. 247).

Der britische Autor und Journalist Robert Penn, einigen vielleicht bereits bekannt durch seinen fahrradleidenschaftlichen Bestseller „Vom Glück auf zwei Rädern“, lebt mit seiner Familie fern großer Städte in einer waldigen Gegend von Wales, hat zwei Hunde und eine Menge Äxte. Seit zehn Jahren lebt er auf dem Land und hat mit der Zeit auch gelernt, den zum Grundstück gehörigen Wald naturnah zu nutzen und wieder zu einer von Lichtungen durchzogenen, artenreichen Oase zu machen. Er lernt die Arbeit im Wald zu schätzen, die seinen Körper auf besondere Art fordert:

Was mich jedoch am meisten und längsten fesselt, ist die körperliche Aufrichtigkeit des Aktes selbst – einen Klumpen Stahl mit achtzig Stundenkilometern durch die Luft zu schwingen und ihn in einem Holzklotz zu versenken. Wenn ich ein großes, knotiges Stück vom unteren Stamm einer Eiche abschlagen will, die Schneide der Axt zurückprallt und nur eine kaum sichtbare Kerbe hinterlässt, flutet der gescheiterte Versuch über den Axtstiel aus Eschenholz in meine Arme bi sind meine Schultern hinein zurück. Dann spüre ich die Kraft eines Baumes, der sich dem Willen unzähliger Stürme widersetzt hat. Durchdringt die Axt andererseits die Oberfläche eines Eschenblocks, fahren die Wangen des Axtkörpers durch die Spalte im Holz wie Wasser, das an Felsen brandet, und fallen zu beiden Seiten des Hackklotzes zwei cremig weiße Holzstücke hinunter – dann wird mein ganzer Körper von dem unvergleichlichen Gefühl erfüllt, etwas vollbracht zu haben. […] Als scheinbare banale Alltagstätigkeit ist das Hacken von Eschenholz einfach unschlagbar. (S. 55-56)

Als er im Laufe der Jahre auch Eschen freischneidet und ihren Wuchs bewundert, erinnert er sich an eine Esche aus seiner Kindheit. Mehr und mehr befasst er sich mit Eschen und trifft schliesslich eine Entscheidung: er wird eine Esche fällen, die in der Nähe seines Wohnortes liegt, sie bis zum letzten Stück verwerten, um noch mehr über diese Baumart herauszufinden. Nach vielen Wochen findet er schliesslich die perfekte Esche: einen 140 Jahre alten Baum. Er verbringt viel Zeit in dem Wald, in dem sie steht, sitzt in dem Baum, erklettert ihn, schläft eine Nacht unter seinem Blätterdach. Ein Freund, Baumchirurg, Holzfäller und Dichter zugleich, macht sich mit seinen Leuten daran, den Baum behutsam zu fällen und so zu zerlegen, dass man einen möglichst großen Teil seines Holzes nutzen kann. Penn wird alles von diesem Baum verwerten und reist dabei um die halbe Welt. Zu den ersten Gegenständen zählen Schüsseln, die in Handarbeit aus einem Stück der Esche gefertigt werden:

Vom Rand der Schale bis zu ihrer Mitte zogen sich von vier Punkten aus unregelmäßige Maserungslinien entlang, wie Höhenlinien auf einer Karte. Hier und da war die Maserung sehr dicht; an anderen Stellen wiederum ließ das Wellen Kater viel Platz zwischen den einzelnen Linien. Es war faszinierend, Rätselhaft, als ob das Muster der Maserung ein Geheimnis berge. Dann fuhr ich mit dem Daumen außen an Dr. Schale entlang. Ich könnte die Spuren, die die Werkzeuge im Holz hinterlassen hatten, fühlen. An einigen Stellen hatte die Maserung spürbare Grübchen, einmal war die Oberfläche rau und narbig. Mehrmals führte ich die Schale an meine Nase, roch daran und sog ihren Duft ein. Plötzlich müsste ich an ein paar Gegenstände denken, die ich täglich benutze; Gegenstände aus synthetischem Material wie etwa mein Laptop, mein Telefon und meine Kugelschreiber. Hatte ich mir jemals die Mühe gemacht, ihren Geruch wahrzunehmen? (S. 121).

Über 40 Gegenstände wird Robert Penn im Laufe eines Jahres aus der Esche anfertigen lassen: er reist zu einem traditionell fertigenden Hersteller typisch amerikanischer Baseballschläger, lässt in Österreich einen Schlitten, in Irland einen Hurley-Schläger herstellen, verbringt viel Zeit in einer Stellmacherei und anderen, zumeist sehr traditionell arbeitenden Betrieben, die auf Gegenstände spezialisiert sind, für die Eschenholz das beste Material ist. Seine Reise wird dabei auch zu einer Reise zu ausgestorben erscheinenden Berufen, die sich dennoch aufgrund der Handwerkskunst und der Leidenschaft von Enthusiasten erhalten haben. Nebenbei liest Penn viel über Holz im Allgemeinen und Eschenholz im Besonderen, taucht dabei in die Kultur- und Technikgeschichte der Menschheit und der Forst- und Holzwirtschaft gleichermaßen ein, streift Mythologie und Kunst, nicht ohne unerwähnt zu lassen, dass die Esche und damit auch ihr besonderes Holz bedroht sind durch Schädlinge und extensive Nutzung. Am Ende, als der Baum verwertet ist, wird die hohe Wertschätzung des Autors nicht nur für den langlebigen Werkstoff, sondern auch für die damit verbundenen Handwerke erkennbar. Eine Wertschätzung, die wir im Zeitalter der Wegwerfmöbel verloren haben und die es wiederzugewinnen gilt:

Da stand er, mein massangefertigter Schreibtisch. Ein Luxusgegenstand, sicherlich, aber auch ein origineller, authentischer, reparierbarer und sehr wertvoller Gegenstand. […] Jeses Einzelteil war individuell durchdacht, skizziert. Gestaltet, zugeschnitten, glatt gehobelt und lackiert worden. In seiner Gesamtheit legte der Schreibtisch Zeugnis ab von der Geschicklichkeit. Dem Urteilsvermögen, der Ehrlichkeit und Integrität seines Schöpfers ab – von den Jahren, die es gedauert hatte, das Handwerk zu erlernen, und von der Beziehung des Schreiners zu seinem Material, zum Holz. Ein wunderschöner Gegenstand. Als ich eine der Schubladen öffnete, stieg mir der Duft frisch geschnittenen Eschenholzes in die Nase. Augenblicklich versetzte er mich in den CalLow Hill Wood und an jenen Tag zurück, an dem mein Baum gefällt worden war. Ich atmete den charakteristischen Geruch ein weiteres Mal tief ein: dieser Geruch hatte sich wie ein roter Faden durch meine gesamte Reise gezogen. (S. 238-239).

Robert Penn ist ein wunderbares Buch gelungen, das weit über sein Genre hinausreicht und seinem Thema auf überaus literarische und zugleich sinnliche Weise mehr als gerecht wird. Seine Reflexionen über Holz, seine Beschreibungen von Haptik, Geruch, Aussehen sowie die schönen Naturbeschreibungen gehen eine innige Verbindung ein mit den von ihm geschilderten Begegnungen mit Handwerkern, seinen Beobachtungen in den Betrieben und seinen Studien zum Thema Esche und Waldnutzung. Wer „Der Mann und das Holz“ gelesen hat, wird dieses Buch lieben.

PS: Einige der Eschenholz-Gegenstände findet man übrigens unter diesem Link.

9 Kommentare zu “Der Mann, der einen Baum fällte und alles über Holz lernte / Robert Penn

    • Gerne doch. Viel Freude beim Verschenken!
      „All about the Bike“ will ich unbedingt haben und meinem neuen Fahrrad vorlesen, aber es ist nur leider in der deutschen Auflage gerade nicht lieferbar. Soll aber nachgedruckt werden.
      Ein zauberhaftes Wochenende wünscht Jarg

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    • Gern geschehen!
      Ja, Langtitel sind blöd. Kommt auch nicht gut, wenn man auf Partys „Hast du schon [Langtitel mit 300 Bichstabrn] gelesen?“ fragt und der Befragte sich während des Fragestellens dreimal Essen vom Buffet nachhholen kann.
      Ein zauberhaftes Wochenende wünscht Jarg, diesmal aus Berlin

      Gefällt 1 Person

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