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Die Meinung der anderen: Wie sie unser Denken und Handeln bestimmt – und wie wir sie beeinflussen / Tali Sharot

Tatsächlich macht uns der Tsunami an Informationen, der täglich über uns hereinbricht, mitunter sogar weniger empfänglich für die Aussagekraft von Daten, denn wir haben uns längst daran gewöhnt, mit einem einzigen Mausklick Belege für wirklich alles zu bekommen, woran wir glauben möchten. Und so werden unsere Überzeugungen durch unsere Wünsche und Sehnsüchte geformt. Genau jene Beweggründe und Gefühle sind es, die wir ansprechen müssen, wenn wir etwas verändern wollen – sei es bei uns selbst oder bei anderen. (S. 17)

Immer wieder kommt es in den Nachrichten: unsere Krankenhäuser haben zum Teil massive Hygieneprobleme, Viren breiten sich dadurch aus. Nun könnte man meinen, dass gross angelegte Aufklärungskampagnen, die vor den Gefahren mangelnder Hygiene warnen und Gegenmaßnahmen darstellen, helfen würden: vor allem Händewaschen und Desinfektion gehört dazu. Die Wahrheit ist: sie ändern nichts. Erstaunlicherweise zeigen Versuche, dass einfache Maßnahmen, die an unser hirninternes Belohnungssystem gerichtet sind und somit nicht mit Information, sondern mit Emotion arbeiten, deutlich erfolgreicher sind als jede Aufklärungskampagne: 90% statt vorher 10% der Angestellten wuschen sich die Hände.

Tali Sharot zeigt in ihrem Buch nachdrücklich, wie unser Gehirn zu Überzeugungen und Entscheidungen kommt und welche Rolle dabei Fakten, Emotionen und die Meinungen der anderen spielen. Dabei wird an alltäglichen Problemen deutlich, warum auch komplexeren Probleme wie der Klimawandel oder die drohende Wahl eines populistischen, mit einfachen Lösungen winkenden Demagogen wie Trump nicht mit Fakten allein beizukommen ist. Die Autorin macht auf der Basis neurologischer, psychologischer und verhaltensökonomischer Studien deutlich, welche Hirnstrukturen und Zusammenhänge uns dazu bringen, unlogische Entscheidungen zu treffen und beispielsweise eine Impfung verweigern oder in etwas zu investieren, dass sich im Nachhinein als riskant erweist. Die Gründe dafür liegen tief in unseren Instinkten und Reflexen verborgen, die vor langer Zeit durch die Evolution geprägt wurden, damals Sinn machten, sich heute aber oft als unzureichend zur Bewältigung eines immer komplexer werdenden, von Informationen gefluteten Alltags erweisen. Wenn wir also jemanden zu überzeugen versuchen, besteht ein Grund für unser Scheitern oft darin, dass wir von falschen Annahmen ausgehen:

Hinter all dem verbirgt sich eine Einsicht von zentraler Bedeutung. Ob bei der Arbeit oder zu Hause – wir haben, wenn wir etwas Wichtiges mitteilen möchten, grundsätzlich das Gefühl, dass unser Gegenüber das auch wissen will. Dieses Gefühl ist falsch. Wenn Menschen nicht einmal lebensrettenden Informationen Aufmerksamkeit schenken, können Sie nicht davon ausgehen, dass sie hören möchten, was Sie zu sagen haben. Wir müssen neu darüber nachdenken, was Menschen wirklich dazu bringt, gerne zuzuhören, und dann unsere Botschaft entsprechend zu verpacken, denn gehört zu werden ist bei Weitem die wichtigste Voraussetzung dafür, Einfluß zu nehmen. (S. 143)

Unsere Individualität ist dabei nur scheinbar: tatsächlich folgen wir auch in unseren vorgeblich individuellen Entscheidungen der Meinung der Masse, richten uns an vielen aus statt einen eigenen Weg zu finden, weil sich eben diese Haltung in unserer steinzeitlichen Vergangenheit als richtige Überlebensstrategie erwies. Heute führt sie dazu, dass schon eine einzige positive Bewertung auf Amazon oder anderen mit Bewertungssystemen verknüpften Portalen mit höherer Wahrscheinlichkeit weitere positive Bewertungen nach sich zieht, als wenn die erste Bewertung eines Produktes negativ gewesen wäre. Der Zufall bestimmt hier mehr das Ergebnis als ein reales Faktum. Shalot unterstreicht auch, das Fakten, verbunden mit Ängsten, eher dazu führen, dass Menschen diese Informationen ausblenden und ignorieren, wohingegen Freude dazu motiviert, etwas weiterzumachen oder zu verändern (s. Händewaschen).

Für Sharot stehen Emotionen im Mittelpunkt und unsere Neigung, anderen zu folgen. Dazu passt, dass Bewertungen auf Shoppingplattformen und Bewertungsportalen signifikant häufiger positiv ausfallen, wenn schon der erste Bewerter eine positive Bewertung abgegeben hat. Auch sind wir geprägt von unserer Angst vor Kontrollverlust, verbunden mit der Freude am Tun. Ob vorhandene Überzeugungen, Gefühle, Macht, Neugier, Anreizmechanismen, das aktuelle Empfinden oder die soziale Interaktion in unserem Umfeld – all das beeinflusst nicht nur, wie wir denken, sondern auch, für welche Veränderungen wir bereit sind. Tarot plädiert dafür, die Art und Weise, wie unser Gehirn funktioniert, immer im Hinterkopf zu haben, wenn wir Menschen von etwas überzeugen wollen, von dem wir sicher sind, dass es richtig ist. Fakten können dabei nicht für sich stehen: Menschen brauchen Geschichten, konkrete Personen oder vorstellbare Situationen, damit sie sie nachvollziehen und in ihre Denk- und Handlungsprozesse einbauen können. Belohnung wirkt dabei als Veränderungs- oder Handlungsmotivator besser als Angst zu machen, Menschen Kontrolle über ihr Handeln zu geben erreicht mehr, als ihnen etwas vorzuschreiben, eine negative oder beängstigende Nachricht ins für den einzelnen positive zu transformieren lässt Menschen eher zuhören. Das gilt für Sicherheitsanweisungen im Flugzeug ebenso wie für die Herausforderungen durch den Klimawandel.

Um erfolgreich Veränderungen anzustoßen, müssen wir uns daher bemühen, gemeinsame Motive zu finden […] Und dann, wenn wir diese gemeinsamen Ziele erkannt haben, auf unsere Gefühle bauen, um unser Anliegen rüberzubringen. (S. 52)

Tali Sharot ist eins der vielleicht wichtigsten Bücher dieses Jahres gelungen, einem Jahr, in dem Demagogen und Populisten gegenüber Fakten und Diskurs die Oberhand zu gewinnen scheinen. Es zeigt deutlich, wie manipulierbar sind, weist aber auch den Weg, wie wir Menschen im positiven Sinne überzeugen können.

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