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Totenreich und Hölle (Ein Gastbeitrag im Rahmen von 5 Jahre Jargsblog)

Wohin auch immer wir reisen, wir suchen, wovon wir träumten, und finden doch stets nur uns
(Günter Kunert)

Da uns Buchfeen jede Vorstellung einer Hölle fehlt, finden wir es spannend, wie die Menschen von diesem imaginären Ort besessen waren und sind. “Masochistische Gedankengifte!”, meinte Siri. Erstaunlich ist, wie die Hölle als kalt und dann als brennend heiß gesehen wurde. Aber in einem Ort, dessen Vorstellung über Jahrhunderte der Disziplinierung der armen Christenmenschen diente, kann man eben alles hineinsehen, die Hauptsache war, er ließ den Sünder erschauern.

KÄLTE

Der älteste überlieferte „Reisebericht“ vom Norden stammt von dem Geografen Pytheas von Massilia (das heutige Marseille). Pytheas (380-310 BC) brillierte als Beobachter, der als erster feststellte, dass die Gezeiten vom Lauf des Monds abhängen, außerdem geht die Astronavigation auf ihn zurück. Er prägte nicht nur den Begriff „Ultima Thule“, sondern gab zudem vor, auf seinen Reisen diesen Ort gesehen zu haben. Freilich stellt sich die Frage wie bei allen Reisenden bis hin zu Marco Polo, welche Reisen er gemeint hat – die inneren oder die äußeren? Wie weit Pytheas in den Norden kam, weiß niemand. Sicher ist, dass er die Antike am Norden interessierte. Gebildete kannten damals den Arktoi, den Eisbären, dessen vage Vorstellung man wie die Götter an den Himmel projizierte. Es bürgerte sich ein, das Land unter dem Sternbild des Bären „Arktis“ zu nennen. Sie galt als letzter Außenposten vor dem Abbruch der Welt ins Nichts, wo bekanntlich die Schiffe herunterfallen, wenn sie weitersegelten, nachdem der unselige Kapitän seine Kleider in Panik zerfetzte und sich den Bart ausriss, wie es in arabischen Erzählungen beschrieben wird (z.B. in der Geschichte von Sindbad). Hier fällt der Seefahrer ins Totenreich, das nach antiker Vorstellung ein Ort des kalten Nebels ist, eine eisige Hölle.

Das geologische Ende Europas, die 7 Inseln vor Nord-Spitzbergen

Charakteristisch für das frühe Bild des Nordens ist, dass das Unbekannte eine Projektionsfläche darstellt, auf der sich Inhalte unbewusster Ängste darstellen. Im Unbewussten sedimentieren Vorstellungen, die zu Archetypen kristallisieren, bis hin zu den eisigen Höllenvorstellungen von Dantes „Göttliche Komödie“. Der Norden wurde zum nebligkalten Ort des Todes, ein Hintergrund, der wesentlich für die Heldenverehrung der Polarforscher speziell im 19. Jahrhundert war.

HITZE

Lange nach Pytheas entstand im keltisch geprägten Christentum ein Traum vom Norden, der sich an Brendans (488-578) Seereisen festmachte. Irische Mönche suchten den paradiesischen Ort im Norden, an dem sie ungestört in lieblicher Umgebung Gott nahe seien konnten, und fanden die Hölle.

Der Beerenberg/Jan Mayen, der fast ganzjährig im Nebel liegt

Im 8. Jahrhundert wurden die Seereisen des Mönchs Brendan unter dem Titel „Navigatio Brendani“ zu einem Seefahrermythos vereint. Freilich wurde dieses Epos erst mehrere Generationen nach Brendan niedergeschrieben. Für ihn war Ultima Thule mit der Hölle verbunden und für Christen war die Hölle ein Ort des Feuers. Brendan will auf seiner Reise einen feuerspeienden Berg gesehen haben, der so schrecklich war, dass er für ihn den Eingang zur Hölle darstellte. Das kann der Beerenberg, der nördlichste Vulkan unseres Planeten auf Jan Mayen, gewesen sein, aber er mag auch isländische Vulkane erlebt haben oder von geografisch unspezifischen Träumen seiner Zeit geprägt worden sein.

Oh Wunder! Der Beerenberg zeigt sich für drei Minuten.

Die an das Feuer gebundene Höllenvorstellung der Christen führte etwa tausend Jahre später bei der Missionierung der Inuit zu völligem Unverständnis. Für die Inuit wurde das wärmende und lichtspendende Feuer durchweg positiv gesehen. Eine christliche Hölle mit Feuer war für sie ein begehrenswerter Ort.

Brendan auf See – deutsches Manuskript von 1460

Wenn man in solcher Enge wie Brendan und Co. die See befährt, nimmt es nicht Wunder, dass man von Höllenvorstellungen heimgesucht wird, meinen wir Buchfeen.

BIBLIOTHEKSHÖLLEN

Und wisst Ihr, dass es auch Höllen in Bibliotheken gibt? Ja, da wundert Ihr Euch. “Kleine Höllen” – der Fachausdruck lautet “Enfer” (von L`Enfer die Hölle) – nennt man die Sammlungen pornografischer Bücher in Bibliotheken, Bücher, die bei Masterchen auf Regalbrett 5 stehen. Im Britischen Museum gibt es diese Höllen wie in der Bibliotheque National in Paris. Na, und wo sich die größte Hölle befindet, könnt Ihr Euch sicher vorstellen. Habt Ihr es geraten? Klar doch, in der Bibliothek des Vatikan mit 25.000 Bänden.

Höllisch herzliche Grüße
Siri und Selma, Masterchens und Dinas eifrige Buchfeen
The world according to Dina

© Text und Bild Klausbernd Vollmar & Hanne Siebers, Cley next the Sea/Norfolk 2015

11 Kommentare zu “Totenreich und Hölle (Ein Gastbeitrag im Rahmen von 5 Jahre Jargsblog)

  1. Sehr interessant, ich hab Hitze und Kälte in diesem Zusammenhang bislang eher auf eine Art innere Höllenqualen bezogen, dargestellt eben als Feuer oder eisige Wüste. Oder anders gesagt: Es ist nicht der „Ort“ der brennt, sondern der Mensch selbst. 🙂

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    • Ja, schon seltsam. Heute können wir uns das gar nicht mehr vorstellen, dass man irgendwo an einem konkreten Ort den Eingang zu einer religiös begründeten Hölle oder die Hölle selbst vermutet. Und letztlich sind wir uns ja oft eher selbst die Hölle – leider. Fällt mir natürlich gleich Kafka ein: Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüßtest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen vor einander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle…

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  2. Lieber Jarg,
    herzlichen Dank für die Veröffentlichung unseres höllischen Artikels. 💐 Das freut uns 😊 sehr.
    Wir senden liebe 💞 Grüße in den Norden
    The The Fab Four of Cley
    💃👭🚶

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    • Liebe Fab Four,
      ich habe zu danken für diesen wunderbaren Beitrag.
      Herzlich grüßt Jarg, derzeit baustellenbedingt die eigene Wohnung als Vorhölle betrachtend und deshalb Hamburg aus der Ferienwohnungsperspektive genießend

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      • Wir bauten auch gerade zwei Zimmer gemütlich aus und haben volles Verständnis und Mitleid. Besonders unser geliebtes Masterchen hasst Chaos und ist sehr mit Vorsicht z.Zt. zu genießen, da er dazu noch aufhörte zu rauchen.
        Viel Erfolg, Glück etc. auf dass es wunderschön wird 🙂
        Wir halten Daumen, Flügel und Zehen
        Siri und Selma 🙂 🙂
        und der Rest der Gang

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      • Vielen Dank für die guten Wünsche, Siri & Selma! Umbauten bringen halt immer Unruhe. Aber spannend ist es auch – und endlich sieht man mal der Hauskonstruktion unter die Haut. Hat auch was, solange man nicht selbst alles wieder instand setzen muss!
        Nach dieser hier beeindruckend zu sehenden (partiellen) Sonnenfinsternis, die schöde Stadtflächen in ein wunderbar weiches Licht tauchte, wünsche ich Euch beiden und natürlich Klausbernd und Hanne ein zauberhaftes Wochenende!

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      • Guten Abend, lieber Jarg
        Auch dir wünschen wir ein feines Wochenende 🌞
        Hier war auch die (partielle) Sonnenfinsternis toll zu sehen. Wegen des leichten Hochnebels konnten wir durch eine Sonnenbrille das Schauspiel gut betrachten.
        Viel Freude beim Um- oder Ausbau 😄
        Liebe Grüße von der Küste Norfolks
        The Fab Four of Cley
        🚶👭💃

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      • Danke schön!!! Ist fast alles fertig und bald können wir auch wieder duschen 🙂
        Liebe Grüße vonne Woterkant und ein zauberhaftes Wochenende!
        Jens

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      • Lieber J.
        Na Gratulation, dass du nun mehr oder weniger fertig bist. So recht zu Ostern. Unser Gemütlichkeitszimmer ist jetzt auch fertig, naja, fertig ist es ja nie. Aber wir benutzen es schon fröhlich.

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