Für diesen Gastbeitrag zum 2014er-Gewinner der Goldenen Palme in Cannes bedanke ich mich bei Andreas Eckenfels, der seine Rezensionen gewöhnlich im Blog „Die Nacht der lebenden Texte“ platziert.
Drama // Als Dauergast auf den internationalen Filmfesten avancierte Nuri Bilge Ceylan in den vergangenen Jahren zum Kritikerliebling. Besonders in Cannes räumt der türkische Filmemacher regelmäßig die großen Auszeichnungen ab: 2003 erhielt er dort den Großen Preis der Jury für „Uzak – Weit“, 2006 gab es den FIPRESCI-Preis für „Jahreszeiten – Iklimer“, „Drei Affen“ brachte ihm 2008 den Regiepreis ein, 2011 errang Ceylan für „Once Upon a Time in Anatonlia“ erneut den Großen Preis der Jury. Für seinen jüngsten Film „Winterschlaf“ gewann er 2014 endlich den Hauptpreis des Festivals, die begehrte Goldene Palme, dazu erneut den FIPRESCI-Preis.
Der Winter kommt
Der ehemalige Schauspieler Aydin (Haluk Bilginer) betreibt gemeinsam mit seiner jüngeren Frau Nihal (Melisa Sözen) ein Hotel in den Bergen Kappadokiens. Auch Aydins frisch geschiedene Schwester Necla (Demet Akbag) hilft in der Herberge mit aus. Der Winter ist im Anmarsch, nur noch wenige Gäste sind im Haus. Bald traut sich wegen der Kälte niemand mehr vor die Tür.
Aydin fühlt sich in seinem kleinen Reich allen anderen überlegen
Ismael kann seine Miete nicht zahlen
Aydin hat zwar nie den großen Durchbruch geschafft, aber er hat einmal mit Omar Sharif gedreht, wie er betont. Von seinem Vermögen hat er sich einige Häuser gekauft, doch nicht immer kann die arme Landbevölkerung die Miete rechtzeitig zahlen. Aydin hört sich die Entschuldigungen seiner Mieter zwar in Ruhe an, aber Pardon kennt er selten. Sie würden sowieso nur sein Eigentum verkommen lassen. Nihal hingegen unterstützt zahlreiche Wohltätigkeitsorganisationen, deren Treffen häufig im Hotel stattfinden – sehr zu Aydins Missfallen. Er könne mit diesen Dilettanten nichts anfangen.
Auch seine Frau Nihal kann seine Überzeugungen nicht ändern
Eine große Aufgabe hat sich Aydin noch vorgenommen: Er will ein Buch über die Geschichte des türkischen Theaters schreiben. Doch viel lieber tippt er moralische Kolumnen für eine Zeitung, die sowieso niemand liest, wie Necla meint.
Statt dem geplanten großen Epos schreibt Aydin nur kleine Kolumnen
Inspiriert von Friedrich und Tschechow
Seine Herkunft aus der Fotografie und seine Vorliebe für Werke von Casper David Friedrich sieht man den imposanten Bildern von Ceylans „Winterschlaf“ jederzeit an. Inspiriert von Anton Tschechows Erzählung „Meine Frau“ entfaltet der Filmemacher eine fesselnde Charakterstudie über einen Intellektuellen, der sich in seinem Mikrokosmos als großer Herrscher fühlt, den Blick auf die Realität aber verloren zu haben scheint. Gleichzeitig zeichnet Ceylan auch ein reichhaltiges Sittenbild über die türkische Kultur.
Neben der eindrucksvollen Bergkulisse, den perfekten Bildkompositionen und den Darstellern sind es besonders die treffsicheren Dialoge, die trotz der kammerspielartigen Inszenierung die enorme Lauflänge von mehr als drei Stunden niemals zu einer Tortur werden lassen. Wer nach der Sichtung noch etwas Zeit übrig hat, erhält mit dem beeindruckenden 140-minütigen Making-of detaillierte Einblicke in die Arbeit von Nuri Bilge Ceylan mit seinen Darstellern und seiner Crew.
Veröffentlichung: 26. Juni 2015 als Blu-ray und DVD
Länge: 196 Min. (Blu-ray), 189 Min. (DVD)
Altersfreigabe: FSK 12
Sprachfassungen: Deutsch, Türkisch
Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte
Originaltitel: Kis uykusu
TUR/D/F 2014
Regie: Nuri Bilge Ceylan
Drehbuch: Nuri Bilge Ceylan, Ebru Ceylan inspiriert von einer Kurzgeschichte von Anton Tschechow
Besetzung: Haluk Bilginer, Melisa Sözen, Demet Akbag, Serhat Mustafa Kiliç, Nejat Isler
Zusatzmaterial: Hörfilmfassung, Making-of, Interview, Trailer, Trailershow
Vertrieb: Universum Film
Copyright 2015 by Andreas Eckenfels
Fotos, Packshot & Trailer: © 2015 Weltkino Filmverleih GmbH