Das allermeiste davon ist so wahr, wie’s gerade ging, wenn man bedenkt, dass keiner langweilige Stellen mag
Texas, USA in den 1870er Jahren kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Der junge Willie Jackson, Sohn eines ehemaligen Sklaven, lebt mit seinem Vater mehr schlecht als recht von der Landwirtschaft. Als er in die Stadt geht, um Besorgungen zu machen, sieht er ohne es zu wollen die Unterwäsche einer weißen Frau. Deren jähzorniger Mann Sam Ruggert reagiert cholerisch: in letzter Sekunde kann Willie ihm entkommen, muss aber mit ansehen, wie sein Vater gelyncht und ihre Hütte niedergebrannt wird. Er klaut sich ein Pferd und flieht. Zum Glück gerät er an den ehemaligen Soldaten Loving, der ihm Schutz, Arbeit und Unterkunft gewährt und ihm nicht nur das Lesen, sondern auch das Schießen beibringt.
Doch Ruggert folgt ihm weiter. Willie flieht erneut, nennt sich fortan Nat Love und schließt sich im Norden der Armee an. Zusammen mit einem anderen ehemaligen Sklaven überlebt er als einziger einen Hinterhalt. Als beide nach der heruntergekommenen Deadwood in South Dakota gelangen, verliebt sich Nat in eine schöne junge Frau, gewinnt einen Schiesswettbewerb und einen neuen Freund, nennt sich fortan Deadwood Dick und wird zur Legende. Doch seine Vergangenheit holt ihn auch nach Jahren wieder ein …
Lansdale lehnt seine Geschichte eines ehemaligen Sklaven und farbigen Cowboys an die reale Geschichte von Nat Love an, macht daraus aber keine romanhafte Biografie. Stattdessen reichert er Nats Geschichte an, verändert sie und macht seinen überaus spannenden, niveauvollen Western so zu einer archetypischen Geschichte über den afroamerikanischen Cowboy an sich. Dabei verzichtet er auf verklärende Westernromantik a la Winnetou und Co. und erzählt schonungslos vom harten Leben im wilden Westen, ohne in Effekthascherei zu verfallen: Etliche drastische Gewaltszenen finden sich in der von Willie als naivem Erzähler zum besten gegebenen Geschichte ebenso wie tragische und urkomische Sequenzen.
Lansdale versteht es dabei, die Abenteuer von Willie aka Deadwood Dick in Szene zu setzen: Landschaften und Orte beschreibt er ebenso plastisch wie die Handlungen und Emotionen der Akteure: unversehens reitet man als Leser mit durch die Prärie, schmeckt den Staub auf der ausgedörrten Zunge, hört das Klappern der Pferdehufe und das Knarzen trockener Lederriemen am Sattel. Plötzlich scheint man neben Willie zu sitzen, in einem abgeranzten Saloon vielleicht, vor sich ein Glas Whiskey, im Hintergrund dilettiert jemand am schlecht gestimmten Klavier, und man lauscht Willies Geschichte und fragt sich, was davon Wahrheit, was Lüge ist, entsetzt und bewegt zugleich, wie aus dem ängstlichen jungen ein Mann wird, Dr seinen eigenen Weg sucht und findet in einer von Gewalt geprägten Welt, die ihm ihren Lebensrhythmus aufzwingt.
Lansdale vermag fesselnd zu erzählen und hält der amerikanischen Gegenwartsgesellschaft mit ihrem latenten Rassismus und ihrer Gewaltbereitschaft zugleich einen Spiegel vor, der bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Ein unglaublich spannender und berührender Western, der das etwas angestaubte Genre gehörig durchlüftet und modernisiert, um en passant dem im Wildwestmythos vergessenen schwarzen Cowboy ein Denkmal zu setzen.
Eigentlich hatte ich ‚Western‘ seit Ypzich-Jahren abgehakt. Aber eigentlich ist ‚Eigentlich‘ kein Wort. Joe Lansdale mag ich sowieso, schon seit den 90ern. Habe aber ein Problem. Wo kriege ich alte Original-Sachen ohne nach US of A zu fliegen?
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Versuche das doch mal hier: http://www.zvab.com … habe schon geguckt und hatte Treffer.
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Danke für die Rezension. Habe das Buch vor kurzem im englischen Original gelesen („Paradise Sky“) und war hellauf begeistert. Sehr niveauvoller Western. Und sehr aktuell. Erinnerst Du Dich an die Stelle, als Nat Love seinem weißen Peiniger Ruggert sagt?
„You got to have someone to blame, because your life is just as low-account as any slave’s ever was. You think you deserve better. You don’t. Spending your life chasing after some fellow caught a glimpse of your wife’s ass is no way for anyone to live. You are outdone by your own dumb self.”
Wenn ich das lese, habe ich den Eindruck, Ruggert ist der Prototyp des verbitterten Trump-Wählers.
Als Ergänzung empfehle ich Lansdales vor „Paradise Sky“ erschienenen Roman „Das Dickicht“ mit einer ähnlich dichten Atmosphäre (Rezension auf Café Weltenall https://cafeweltenall.wordpress.com/2016/01/11/er-liest-etwas-das-ich-nicht-kenne).
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Gern geschehen. Und ja, du hast recht: das Buch lässt einen gedanklich immer wieder Verbindungen in die amerikanische Gegenwart ziehen.
Danke für den Buchtipp … das scheint ebenso lesenswert zu sein.
Herzlich grüßt Jarg
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