
Dreissig Jahre lang hat der Fotograf Peter Bloom seiner ersten Liebe Astrid nicht vergessen können, die nach einem kurzen gemeinsamen Sommer 1975 in der spiessigen Provinzstadt unweit der innerdeutschen Grenze spurlos verschwand. Dreissig Jahre voller Grübeleien, was damals geschehen sein könnte. Jetzt kehrt er nach drei Jahrzehnten im Ausland zurück, weil sein Vater schwer krank ist. Als in der Nähe der alten Grenzanlagen in einem Rohr das Skelett einer jungen Frau gefunden wird, vermutet Bloom, dass es sich um Astrid handelt und stellt auf eigene Faust Nachforschungen an. Doch es handelt sich um einen Irrtum: das Mädchen kam in jenem Sommer aus Norwegen in die kleine Stadt – und Bloom gerät selbst ins Fadenkreuz der polizeiliche Ermittlungen.
In den folgenden Tagen geht er den Spuren jenes Sommers nach und taucht tief ein in jene vier Monate mit Mopedfahren, Schwimmen im See, Spaziergängen an der Grenze und Rockkonzerten, an deren Ende Astrid plötzlich fort war und Bloom zusammen mit ihrem Vater halb Europa vergeblich nach ihr durchsuchte, bis er schliesslich auswanderte. Er findet ein altes Foto, dass die Norwegerin zeigt – aber auch Astrid und die örtliche Rockband Crest mit Knud, Mike und Gerrit. Plötzlich scheint er dem Geheimnis von damals auf die Spur zu kommen – auch wenn es seine Erinnerungen schmerzhaft zerstören und für Unruhe in der Kleinstadt sorgen wird. Denn auch andere können Astrid und jenen Sommer nicht vergessen, obwohl sie es versucht haben …
Jochen Rausch, der mich unlängst mit seinem Roman „Krieg“ begeistern konnte, lieferte vor einiger Zeit mit „Restlicht“ ein fulminantes Romandebüt ab. Über fast dreihundert Seiten entwickelt er eine geschickt mit Rückblenden verschachtelte Geschichte um die Träume der Jugend und die trügerische Macht der Erinnerung. Peter Bloom, der nie über diesen Verlust seiner Jugendliebe hinweggekommen ist und letztlich am eigenen Leben scheiterte, muss sich am Ende selbst von seinen Illusionen über jenen Sommer 1975 verabschieden und entdecken, dass alles ganz anders war, als er er sich über Jahre und unzählige Thoerien und Gedanken zurechtgedacht hat.
Rausch stringent und meisterhaft aufgebauter Roman spürt mit großer Empathie und psychologischer Finesse seinen Haupt- und Nebenfiguren nach und schafft so nicht nur eine authentische, zunehmend beklemmende Atmosphäre, sondern zugleich den Roman einer verwundeten Adoleszenz, die nie Heilung gefunden hat. Naiv und ungläubig macht sich Peter Bloom auf die Suche und ist am Ende ebenso verwirrt wie verstört über das sich lüftende Geheimnis. Dabei wahrt er trotz der im lakonisch gehaltenen Erzählen vorherrschenden Perspektive Blooms Distanz und macht so seine Personen und die Geschichte erst wirklich glaubhaft. Zugleich schafft er es, das Porträt einer Jugend der 1970er in der Provinz und im Schatten der deutsch-deutschen Grenze zu entwerfen – und ihrer gealterten Gegenwart in den 2000er Jahren.
Ein beeindruckendes Buch, das weit über das ihm zugeschrieben Genre der Krimninalliteratur hinausreicht und auf tief berührende Weise die lange schmerzenden Wunden zeigt, die das Leben schlagen kann.
Der Autor ist seit deiner Besprechung zu „Krieg“ bei mir auf dem Zettel. Jetzt noch dringender. Sehr schöne Besprechung, die schmackhaft macht, aber nicht viel verrät. Landet auf meinem Wunschzettel.
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Das freut mich. Dann hoffe ich, dass a) der Wunsch erfüllt wird und b) das/die Leseerlebnisse nachhaltig beeindruckend sind.
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Oh, das hatte ich noch gar nicht auf dem Schirm, klingt aber ähnlich toll wie Krieg. Danke fürs Hervorkramen!
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Sehr gerne. Ein Autor, den zu entdecken sich wirklich lohnt … !
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Das klingt sehr spannend und sehr berührend. Danke für den Tip.
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Der Autor ist wirklich eine Entdeckung. Sehr beeindruckend (und bedrückend) ist auch der aktuelle Roman von ihm …
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