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Fragen Sie Ihren Bestatter: Lektionen aus dem Krematorium / Caitlin Doughty

Tote verankern die Lebenden in der Wirklichkeit. Bevor ich bei Westwind anfing, hatte ich ein mehr oder weniger leichenfreies Leben geführt. Nun aber hatte ich Zugang zu Dutzenden von ihnen – ein kurzer Abstecher in die Kühlkammer genügte. Sie zwangen mich, meinem eigenen Tod ins Auge zu sehen, machten mir bewusst, dass auch die Menschen, die ich liebte, nicht ewig lieben würden. Egal wie sehr uns die moderne Technik auch beherrschen mag – eine einzige Leiche reicht aus, um alles ins Wanken zu bringen, uns zu der unumstößlichen Erkenntnis zurückzuführen, dass wir nichts weiter als höhere Säugtetiere sind, dazu verdammt, über kurz oder lang den Löffel abzugeben. Wir alle sind nur Leichen in der Warteschleife. (S. 182)

Wir sind es gewohnt, den Tod aus unserem Leben auszublenden. Wenn jemand, der uns nah ist, stirbt, überantworten wir ihn einem Bestatter, der sich um alles kümmert bis hin zur Beisetzung von Sarg oder Urne. Was dort beim Bestatter geschieht und wie, wollen wir nicht so genau wissen. Auf gar keinen Fall. Hauptsache, der Bestatter regelt diskret alles und behelligt uns nur mit dem Nötigsten – schließlich haben wir mit dem Verlust und unserer Trauer ja genug zu tun. Es wäre zuviel verlangt, wenn wir uns mit Details belasten, die mit der Vorbereitung des Toten für die Bestattung zu tun haben – oder gar selbst Hand anzulegen. Oder?

Caitlin Doughty hat einen Abschluss in Mediävistik, als sie sich 2007 im Alter von 23 Jahren entschließt, bei einem Bestattungsunternehmen als Krematoriumsfachkraft anzufangen. sie bereitet Leichen für die Kremierung vor, rasiert sie, lässt das Blut ab, ersetzt es mit einer Mischung aus Formalin und Alkohol, entfernt Herzschrittmacher, deren Batterien bei der Verbrennung explodieren könnten und klaubt aus den Verbrennungsrückständen Metallteile, bevor sie sie in der Knochenmühle zu feinem Mehl mahlt, dass sie in die Urne füllt.

Seien es unversehrte Leichname, aus Forschungslabors stammende Köpfe, Babys oder ein amputiertes Frauenbein: Was am Ende aus dem Ofen kommt, gleicht sich wie ein Ei dem anderen. Ein Blick in die Urne sagt einem nicht, ob jemand erfolgreich oder ein Loser war, ob er Enkel oder Vorstrafen hatte. […] Mein Staub, dein Staub – letztlich bleibt von uns allen das Gleiche übrig: zwei bis vier Kilo gräulich-weiße Asche. (S. 150)

Doughty erträgt viel und kommt doch manchmal an die Grenze des Erträglichen: immer wieder entsetzt ist sie von Dekubitusgeschwüren – entstanden durch schlechte Lagerung eines schwerkranken Menschen – und kann Tränen nicht verhindern, wenn sie ein an einem Herzfehler verstorbenes Baby im Arm hält, um ihm auf Wunsch der Eltern eine Locke abzuschneiden.

Der Blick, den sie uns hinter die Kulissen der Bestattungsindustrie werfen lässt, ist ungeschminkt und unverblümt: sie beschreibt den Gestank, die Leichenwäsche, die aufwändige postmortale Kosmetik mit all ihren bizarren Hilfsmitteln, die aus Leichen puppenähnliche Relikte macht, die kaum noch an den lebenden Menschen erinnern. Wir erfahren, wie obduzierte Leichen aussehen. Sie schildert die bizarr-schrecklichen Folgen missglückter Kremierungen, enthüllt die Tricks und Kniffe einer Branche, die alles tut, um den Tod aus dem Bewusstsein der Lebenden zu halten und dabei – nicht selten – mit fragwürdigen Methoden, Angeboten und Verkaufstricks eine Menge Geld verdient.

Doughty, die studierte Mediavistin, lässt uns aber nicht nur einen Blick hinter die Kulissen des Bestattungsgewerbes werfen, sondern streift auch die Totenrituale anderer Völker, Kulturen und Zeiten, die uns nicht selten mehr als bizarr anmuten, tatsächlich aber oft eine Auseinandersetzung mit dem Tod erkennen lassen, die sich von der hohen Abstraktion und Verdrängung des Todes in der westlichen Kultur wesentlich unterscheidet. Die westliche Mode, Körper einzubalsamieren, ist dabei eine erst seit kurzem verwendete Methode, die ihre Ursprünge unter anderem im amerikanischen Bürgerkrieg hat, als getötete Soldaten auf diesem Weg über weite Strecken zu ihren Angehörigen transportiert werden konnten. Schnell wird erkennbar, dass der tägliche Umgang mit dem Tod für Doughty, die als Kind ein Mädchen bei einem Unfall sterben sah, mehr ist als ein Beruf. So sind ihre Schilderungen zwar mitunter äußerst schwer erträglich: stets aber ist die große Menschenfreundlichkeit Doughtys zu spüren, die uns sanft und doch fest an die Hand nimmt und uns etwas zeigt, was zum Leben unbedingt dazu gehört: den Tod in seiner Endgültigkeit, mit all seinen Erscheinungen, Ausprägungen, Folgen.

Und inzwischen war ich mir ohnehin nicht mehr sicher, ob unser permanentes Streben nach diesem sogenannten sauberen Tod tatsächlich der Königsweg war. […] „Erfolg“ bedeutete in unserer Lesart, Verstorbene ihren Familien zu entreissen und knallharten Profis zu überlassen, die mit Zeremonien udn Ritualen nichts am Hut hatten, sondern pure Manipulatuion betrieben, Leuten vom Fach, deren Job darin bestand, die Wahrheit zu verheimlichen, zu vertuschen und unter den Teppich zu kehren. Eine Wahrheit, die für mich durch den Vorfall mit Mrs. Greyhound ungeschönt ans Licht gekommen war: dass wir um die Schrecken des Todes wissen und ihn als das erkennen sollten, was er ist – ein psychisch, physisch und emotional belastender Prozess, der uns zu Recht einen kalten Schauder über den Rücken jagt. (S. 136 ff)

Caitlin Doughty studiert nach ihren Erfahrungen im Krematorium Bestattungswesen, fährt währenddessen im Auftrag von Firmen Leichen durch die Gegend und jobbt im Bestattungsgewerbe. Das alles tut sie, um am Ende einen anderen Weg zu gehen als er in den meisten Betrieben der Branche beschritten wird. Sie möchte in unserer Kultur, die den Tod verdrängt, verleugnet und damit dem Leben nicht nur seinen Gegenpol nimmt, etwas zurückgeben: das Bewusstsein vom Tod, seiner Endgültigkeit und uns alle verbindenden Unausweichlichkeit. Unserer Kultur fehlt in den Augen Doughtys der Umgang mit dem Tod als Teil des Lebens. Stattdessen verdrängen wir und zeigen im effizienten, durch Delegation auf Profis verborgenen Umgang mit unseren Verstorbenen die gleiche Herzlosigkeit, die unsere säkularen Gesellschaften kalt zu machen droht und dem Leben die Tiefe des Erlebens nimmt.

Doughty wird aktiv. Sie gründet mit Gleichgesinnten den „Order of a good Death“ mit dem Ziel, das Bewusstsein vom eigenen Tod wieder in die Mitte der Gesellschaft zu holen und Alternative, natürlichere Bestattungsformen zu propagieren. Auf YouTube startet sie erfolgreich den Kanal „Ask a mortician“, auf dem sie auf humorvolle Weise Fragen rund um Tod, Trauer und Bestattung erörtert und dafür plädiert, selbst Hand anzulegen und dabei zu sein, statt den Profis alles zu überlassen und ihren geschickten Marketingstrategien auf den Leim zu gehen.

Während sie das vorliegende Buch schrieb, gründete sie „Undertaking LA“, ein alternatives Bestattungsunternehmen, das Hilfe zur Selbsthilfe bietet auf dem Weg zu einer selbstbestimmten Bestattung.

„Fragen Sie Ihren Bestatter“ ist ein bemerkenswertes Buch: Doughty versteht es, den Leser offen und ohne Tabus an ihr Thema heranzuführen. Selbst an den zahlreichen drastischen, manchmal schwer erträglichen Stellen erspart sie einem zwar keine Details, gibt einem aber zugleich dass Gefühl, von einem Menschen aufgeklärt zu werden, der eine große Liebe zum Leben besitzt und einem die Angst nehmen möchte, dem Tod als untrennbaren Teil allen Lebens und seinen Begleiterscheinungen ins Gesicht zu schauen. Feiner schwarzer Humor trägt zusätzlich dazu bei, dass man Doughtys Buch bei allem wiederkehrenden Entsetzen und emotionaler Bewegtheit kaum aus der Hand legen mag. Das mag auch daran liegen, dass die Autorin rückhaltlos ehrlich ist und auch nicht verschweigt, dass auch sie selbst immer mal wieder an die Grenzen dessen gerät, was sie zu ertragen vermag.

Ein bewegendes, wichtiges Buch, das viele Leser verdient, für mich eines der beeindruckensten Leseerlebnisse in diesem Jahr war, das lange nachwirkt.

4 Kommentare zu “Fragen Sie Ihren Bestatter: Lektionen aus dem Krematorium / Caitlin Doughty

  1. Nicht immer, aber häufig interessant ist in dem Kontext auch der Bestatterweblog http://bestatterweblog.de/.
    Das Thema ist sicher eines der schwierigsten überhaupt, aber umso wichtiger ist es, sich damit auseinanderzusetzen. Wer immerhin „vorbereitet“ in eine Trauersituation gerät, hat es sicher immer noch schwer, aber es ist dann wenigstens ein kleines bisschen leichter, begründete und informierte Entscheidungen zu treffen.

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    • Guten Morgen Marion,
      Danke für den Hinweis auf den sehr lesenswerten Blog. In der Tat ist der Umgang mit dem Tod und hier mit der eigentlichen Bestattung kein einfaches Thema – aber letztlich eines, das alle Menschen betrifft – ohne Unterschied – und so auch Gemeinschaft erzeugen kann, sofern man offen damit umgeht.
      Sonnige Grüße aus Hamburg von
      Jarg

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