Erstaunlicherweise gibt es eine ganze Reihe von Dingen, für die man nicht strafbar gemacht werden kann, obwohl der gesunde Menschenverstand etwas anderes sagt. Die Anwälte Stephan Lucas und Alexander Stevens, die bereits in anderen Büchern aus ihren Erfahrungen berichtet haben, werfen in ihrem Buch „Garantiert nicht strafbar“ einen etwas anderen Blick auf das deutsche Rechtssystem: dabei entlarven sie eine Reihe von vermeintlichen Straftatbeständen in das Reich der Alltagsmythen und werfen einen überaus differenzierten Blick auf die zuweilen komplizierte Rechtslage.
So ist es nicht zwingend verboten, Polizisten beim Einsatz zu fotografieren, wenn man gewisse Einschränkungen betrachtet: es hilft zum Beispiel, auf einem Dach zu stehen und beim Fotografieren eines Parkplatzpanoramas zufällig noch einen strafzettelschreibenden Polizisten am Bildrand zu haben. Auch Identitätsdiebstahl, Titelmissbrauch oder die sogenannte Urkundenfälschung sind nicht in jedem Fall strafbar. Hausfriedensbruch erweist sich in etlichen Fällen als leichter als gedacht, wohingegen der Karneval einige Gefahren birgt wie etwa den Kamellenwurf mit nachfolgender Verletzung, den Sie mit der Teilnahme an der Fastnacht quasi billigend in Kauf nehmen.
Erstaunlicherweise ist das Ausbrechen aus dem Gefängnis in Deutschland straffrei – allerdings nur, so lange sie nichts kaputtmachen, niemanden bestechen, verletzen oder bedrohen, weshalb die Empfehlung von Stevens und Lucas eindeutig lautet, sich beim Ausbrechen nie mit Feile in der Tasche erwischen zu lassen, weil die eine gefährliche Waffe darstellen könnte. Die beiden sparen auch die schlüpfrigen Niederungen des Alltags nicht aus: so wird rasch deutlich, dass man sich mit Hilfe eines Sexfilmcastings mit Vergütungsangebot ganz legal Sex erschleichen könnte, ohne hinterher bezahlpflichtig zu sein, da Sex gegen Bezahlung weiterhin vor dem Gericht als sittenwidrig gilt und Sie nicht wegen Betrugs belangt werden könnten. Wohl aber wegen Exhibitionismus: allerdings können Sie nur als Mann eine entsprechende Straftat begehen, was ein klarer Fall von Geschlechterdiskriminierung ist, allerdings darin begründet liegt, dass die deutsche Rechtssprechung von der männlichen Sexualität größere Gefahren ausgehen sieht als von der harmlosen weiblichen Sexualität und deshalb exhibitionistische Handlungen von Frauen juristisch nicht möglich sind.
Legaler Drogenkonsum, straflose Fahrerflucht und die Möglichkeiten zur ungestörten nächtlichen Ruhestörung beschäftigen die Autoren ebenso wie das mittlerweile verschärfte Sexualstrafrecht, dass im Zweifelsfall die schriftliche und ausdrückliche Zustimmung vor dem ersten Kuss zu implizieren scheint. Alkohol am Steuer ist da auch kein Ausweg und auch der Weg in den Terrorismus kann nur eingeschränkt jenen empfohlen werden, die unter 21 Jahren alt sind, im Zweifel im Jenseits auch für Obst statt 72 Jungfrauen zu haben sind, Neutronenstrahlung benutzen wollen und garantiert keine Essenspakete von Muttern ins Ausbildungs-Camp geschickt bekommen, da diese sonst mitschuldig wäre
Auf den ersten Blick mag man die zum Teil konstruierten, zum Teil echten Fallbeispiele der Autoren für gewollt halten, um größtmöglichen Kalauereffekt zu erzielen. Tatsächlich gelingt es ihnen mit ihren zugespitzten Beispielen überaus gut, Struktur und Alltag unseres Rechtssystems in mehr oder weniger alltäglichen Situationen verständlich zu machen und dabei auch deutlich zu machen, wie Juristen denken und wie kompliziert die Rechtslage bei einem scheinbar einfachen Sachverhalt sein kann. Ihr Buch ist dabei am Ende natürlich keine Aufforderung dazu, straffällig zu werden: tatsächlich gibt es zwar viele Handlungen, die juristisch betrachtet nicht die Delikte sind, für die ein Laie sie halten würde: aber der Teufel steckt auch hier im Detail, zumal Rechtsprechung nicht immer gleich urteilt in gleichen Fällen. Deutlich wird, dass es immer auf den Zusammenhang ankommt, auf die konkrete Situation, ob etwas strafbar ist oder nicht.
Ein überaus kurzweilig geschriebenes Buch, das sich mit Missverständnissen und Mythen über unser Rechtssystem auf ebenso informative wie unterhaltsame Weise auseinandersetzt.
Klingt spannend und witzig zugleich – (mal wieder) Danke für den Tipp 🙂
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Gern geschehen und sonnige Grüsse!
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