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Jargsblog beste Scheiben : Nachlese Filme 2017

Von der Dystopie über die Begegnung mit Ausserirdischen bis hin zu schwarzhumorigen Umgang mit Tod und Alter reicht das Spektrum der radikal-subjektiven Auswahl aus den 2017 hier besprochenen Filmen.

„Toni Erdmann“ ist weitaus mehr als ein Film über eine Entfremdung zwischen Vater und Tochter, über unterdrückte Aggressionen, enttäuschte Erwartungen und an der Endlichkeit des Lebens wurzelnde Traurigkeit, einer Entfremdung, die nur durch einen vom Vater erzwungenen Ausbruch aus den gewohnten Rollen durchbrochen wird. Zugleich gräbt der Film tief in den Mechanismen eines seelenlosen, vom reinen Effizienzgedanken gesteuerten Kapitalismus, in dem Menschen nur Material sind und Zahlen nur dazu da sind, bereits feststehende Entscheidungen scheinbar rational zu begründen. Ein zutiefst berührender Film, der einem mit seiner vortrefflichen Verbindung von absurdem Humor und menschlicher Tragik tief unter die Haut geht und lange nachwirkt.

Bruno Podalydès ist mit „Nur fliegen ist schöner“ eine humorvolle Sommerkomödie gelungen um einen mit dem Älterwerden hadernden Mann, der mit Hilfe seines Kajaks in eine unwirkliche Flußidylle flieht und sich in seinen märchenhaft anmutenden Sommererlebnissen verliert, die nur unterbrochen werden von absurden Erfahrungen mit seiner Ausrüstung und der immer wieder scheiternden Weiterreise auf dem Fluß. Die Atmosphäre von französischer Lebensart und Leichtigkeit, gepaart mit feinem Witz und Gespür für Absurdes, trägt wesentlich zum Reiz des Filmes bei. Ein heiterer, unbeschwerter und sinnlicher Film nicht ohne Tiefgang und mit einem genauen Blick auf den Mann von 50 Jahren an sich.

Captain Fantastic ist Film voller überraschender Volten, warmherzigem Humor und berührender Lebenstiefe, der einen etwas anderen Blick auf die Frage wirft, was Familie eigentlich bedeutet und zugleich auf einer zweiten Ebene subtil die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft und des zunehmend durch moderne Lebensweisen von seinem Wesenskern entfernten Menschen zum Thema macht. der stark von Viggo Mortensen als Hauptdarsteller geprägt wird, dem für die Rollen der Kinder bemerkenswert starke Darstellerinnen und Darsteller zur Seite gestellt wurden. Man sollte sich Zeit nehmen für diesen aussergewöhnlich schönen, fein ausbalancierten und einfallsreichen Film.

Denis Villeneuve ist mit „The Arrival“ ein atmosphärisch überaus dichter, ruhiger und gleichwohl in Inhalt und Bildsprache überaus beeindruckender Science-Fiction-Film gelungen, der sich von den üblichen Klischees des Genres abhebt und damit im intellektuellen Gehalt aufschliesst zu in jüngerer Zeit erschienenen SciFi-Filmen wie „Interstellar“, „Moon“, „Gravity“ oder „Love“. Dabei baut der Film ohne direkte Nennung auf der Sapir-Whorf-Hypothese auf, nach der die Sprache das Denken und die Welterfahrung formt. Villeneuve visualisiert diese Hypothese über die kreisförmigen, klecksartigen Schriftzeichen der Ausserirdischen, Logogramme, die schliesslich von Banks entschlüsselt werden und ihr einen nichtlinearen Zugang zur Zeit ermöglichen, was auch ihre häufigen, sich am Ende entschlüsselnden scheinbaren Flashbacks an ihre Tochter erklärt. Ein wunderbarer Film, der lange nachwirkt und einige der schönsten Momente und Szenen enthält, die je für einen Science-Fiction-Film erdacht und gefilmt worden sind.

„Wo die wilden Menschen jagen“ von Taika Waititi ist eine rasante, warmherzige Abenteuer-Komödie gelungen: der hervorragende Sam Neill und der beeindruckende Kinderdarsteller Julian Dennison geben ein wunderbares, ungleiches Paar ab, dass am Ende zusammenwächst. Der Film über Freundschaft, Verlust und Einsamkeit hält so wunderbar die Balance zwischen Komik, Abenteuer und leise mitschwingendem Ernst, dass das Ende viel zu früh kommt: dabei baut Waititi seine Geschichte bis zum furiosen Finish und dem Ausklang äusserst sorgfältig auf, entwickeln sich die beiden Hauptcharaktere überzeugend und authentisch. Ein wunderbarer Film mit einer Altersfreigabe ab 12 Jahren, wild, komisch und berührend zugleich, der trotz einer etwas blutigen Szene zu Beginn für die ganze Familie geeignet ist. Für mich schon jetzt einer der schönsten, ungewöhnlichsten Filme des Jahres, der lange nachwirkt und sicher zu den Filmen gehören wird, die bleiben.

Guillaume Malandrin ist eine absurd-schräge Tragikomödie gelungen, die immer wieder gekonnt mit dem Makabren und Unappetitlichen spielt und doch nie ins Alberne oder Geschmacklose abdriftet. Die vier Hauptdarsteller in „Ich bin tot – macht was draus“ verkörpern ihre Figuren ausgesprochen überzeugend und authentisch: im Fokus des schwarzhumorigen Roadmovies stehen dabei Freundschaft und Musik und ganz am Rande auch ein wenig Trauerbewältigung.
Gute Unterhaltung mit Niveau, warmherzigem Humor, Charme und einer schön ausbalancierten Geschichte.

Ansgar Ahlers ist mit „Bach in Brazil“ – seinem Debüt als Regisseur – ein wunderbarer Film gelungen, der unter Vermeidung aller erwartbaren Klischees von der Kraft der Musik erzählt. Edgar Selge überzeugt dabei auf ganzer Linie: er verkörpert den vom Leben enttäuschten Musiklehrer, der durch eine überraschende Erbschaft zu einer weiten Reise aufbricht und über das Musizieren mit Kindern, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, plötzlich neue Lebendigkeit in sich spürt. Der Film ist bis in die Nebenrollen hinein hervorragend besetzt und hat dazu noch einen wunderbaren Soundtrack, der einen immer wieder unwillkürlich mit den Füssen wippen lässt.
Ein Film, der gekonnt die Schwebe hält zwischen Ernst und Komik, zugleich heiter ist, zu berühren vermag, ein leidenschaftliches Plädoyer für Musik ist und für mich schon jetzt zu den schönsten Filmen gehört, die ich in diesem noch jungen Jahr gesehen habe.

„Into The Forest“ ist ein überaus beeindruckender dystopischer Film, der seine Geschichte langsam und sorgfältig aufbaut, um zusehends an Spannung zu gewinnen. Dabei fokussiert sich der Film fast schon kammerspielartig auf die beiden großartigen Schauspielerinnen, die einfühlsam, kraftvoll und mit großer Empathie die beiden ungleichen Schwestern und ihren aussichtslos erscheinenden Kampf ums Überleben verkörpern.
Dabei verzichtet der Film auf vordergründige Effekte und zieht seine Spannung under zunehmen sich steigernden Sog ganz aus dem elementar erscheinenden Ringen der beiden Schwestern um Normalität in einer aus den Fugen geratenen Welt. Der Aufgeregtheit üblicher Dystopien setzt er seine geradezu ruhige, eindringliche Erzählweise vor der Kulisse einer ebenso bedrohlich wie magisch in Szene gesetzten Natur entgegen und findet dabei ausdrucksstarke Bilder.
Ein herausragender Film im Themenbereich Dystopie und Überleben, der lange nachwirkt und tief berührt.

2 Kommentare zu “Jargsblog beste Scheiben : Nachlese Filme 2017

    • Es lohnt sich unbedingt: alle dre so nd sehr besonders, unbedingt sehenswert und wirken lange nach. Ein intensives Heimkinoerlebnis wünscht dir
      Jarg

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