Den „Bordsteinkönig“ (s. das Buch des Autors von 2013) Michel Ruge, aufgewachsen in einem Stundenhotel in Hamburg als Soh eines Bordellbesitzers und einer Kellnerin, zieht es nach seinen wilden Jugendjahren auf St. Pauli unter anderem in einer Gang und der erfolgreich abgeschlossenen Schauspielausbildung in den späten 1990er Jahren mit der Hoffnung nach Berlin, dort als Schauspieler reüssieren zu können. Doch das Berlin der 1990er und frühen 200er Jahre erweist sich als das wesentlich härtere Pflaster: alles scheint möglich in der ehemals geteilten Stadt und speziell im Ostteil entwickelt sich eine ganz eigene Szene, bestehend aus illegalen Clubs im Ostteil der Stadt und befördert von Menschen, die ihre Kreativität, aber auch ihre Sexualität buchstäblich wie im Rausch austoben.
Ruge, der freiheitsliebende Anarchist, wird als Türsteher zur Legende, arbeitet nebenbei als Personenschützer und gründet eine Kampfsportschule. Ruges exzessives, wenngleich drogenfreies, aber durchaus gefährliches Leben gleicht sich diesem Rausch an – bis dieser nach Jahren auch in Ruges Umfeld zu Opfern führt und er sein Leben erneut ändern muss.
In „Große Freiheit Mitte“ berichtet er von seinem abenteuerlich erscheinenden Leben in dieser Zeit und reist mit dem Leser durch Bars, Szeneclubs, exzessive Nächte, schildert bizarre, leidenschaftliche und gefährliche Begegnungen und liefert zugleich ein ausgesprochen lebendiges, spannendes Porträt einer Stadt im Umbruch, in der sich nach dem Zusammenbruch der DDR vor allem im Ostteil legendäre Freiräume ergeben, die erst Jahre später von Investoren und Politikern wieder genommen werden und der Gentrifizierung und Kommerzialisierung zum Opfer fallen. Dabei sind Ruges Erinnerungen schonungslos offen, authentisch und bis in persönliche Details intim.
Eine intensive, überaus plastische und sehr berührende Lektüreerfahrung, die einen tief in Leben und Gedanken Ruges und zugleich in ein wildes, aufregendes Berlin eintauchen lässt, das es so nicht mehr gibt.