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Pampa Blues / Rolf Lappert

Später kommt Maslow mit zwei Flaschen Bier über den Platz und setzt sich neben mich. Eine Weile sitzen wir stumm da, trinken unser Bier und gucken in den Himmel. „Glaubst du eigentlich, dass dort oben irgendwo Leben ist?“, fragt Maslow schliesslich.
„Ich glaube nicht mal, dass hier unten Leben ist“, sagte ich. Maslow seufzt und schweigt dann wieder.

Der 16jährige Ben träumt von der ersten Liebe und von Afrika, hat es aber im wahren Leben nicht leicht. Das liegt nicht nur daran, dass sein abenteuerlicher Vater vor Zeiten bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, seine als zweitklassige Jazzsängerin permanent tourende Mutter durch permanente Anwesenheit glänzt und er in dem winzige Provinznest Wingroden leben muss, in dem nur ein paar einsame bierselige Männer, Friseuse Anna und ein verrückter Tscheteschenienveteran wohnen: Ben hat ausserdem noch seinen senilen Großvater an der Backe, der alleine nicht mehr zurechtkommt.

Der ehemalige Golfprofi Maslow aber glaubt an Wingrodens goldene Zukunft und plant, den Ort mit angeblichen UFO-Sichtungen berühmt zu machen: Ben weiht er in seine Pläne ein und zeigt ihm auch seine UFO-Attrappen – doch der ist alles andere als begeistert. Maslows Plan scheint zunächst aufzugehen, denn plötzlich taucht die attraktive Lena mit ihrer Kamera auf. Dann überschlagen sich die Ereignisse: plötzlich steht Anna unter Mordverdacht, das UFO treibt ab, Presse und Polizei zeigen ungewöhnliches Interesse an Wingroden – und Ben verliebt sich.

„Pampa Blues“ glänzt mit einer Reihe liebevoll gezeichneter schräger Figuren, der realistisch in Szene gesetzten Provinz in Form des fiktiven Ortes Wingroden und einer sorgfältig aufgebauten Geschichte um eine skurile Schicksalsgemeinschaft orts- und trinkfester Provinzler, die rasch an Fahrt gewinnt, bis sie auf ihr überraschendes Finale hinsteuert. Lappert entwickelt dabei eine große Empathie mit seinen Protagonisten, die er trotz aller humorvollen Zuspitzungen mit großem Ernst entwirft und agieren lässt. Bemerkenswert gut gelingt Lappert dabei auch die warmherzig-humorvolle Charakterisierung des senilen 87jährigen Großvaters Karl, der am liebsten Papierschnipsel an die Wände klebt und doch lichte Momente zu haben scheint.

Im Mittelpunkt der Handlung steht allerdings Ben, der alleingelassene, nüchtern durchs Leben schreitende Teenager, der bei seinem senilen Großvater eine angebliche Gärtnerlehre absolviert, sich plötzlich dem Erwachsenenwerden und allerlei damit verbundenem Unbill ausgesetzt sieht und der Herausforderung einer ersten großen Liebe begegnet. Die Geschichte ist dementsprechend in der Ich-Form und konsequent aus der Sicht von Ben erzählt, der einen wunderbaren Helden abgibt: seine Geschichte ist schreiend komisch und tieftraurig zugleich und man fiebert von der ersten bis zur letzten Seite mit ihm mit.
Das alles ist eingebettet in eine absurde Geschichte um ein nahezu verlassenes Dorf, bewohnt von einer Handvoll trinkfester, von ihren Frauen verlassener Kerle, in dem ein ehemaliger, heimatverbundener Golfprofi mithilfe inszenierter UFO-Sichtungenn eine Art Area-51 der ländlichen deutschen Provinz zu etablieren versucht, um dem verfallenden Dorf zu Leben und Wohlstand zu verhelfen.

Die Geschichte entwickelt zusehends Tempo und bezieht ihren Witz aus den absurden, gut in die Handlung eingebetteten Verwicklungen. Der Humor des Buches bleibt aber nie vordergründig, sondern verbirgt eine sich mehr und mehr enthüllende Sicht in die Tiefe der erzählten Geschichte und die Gedanken und Gefühle ihrer Protagonisten. Dabei schafft Lappert eine eindrucksvolle Atmosphäre, meint man doch, die Ödnis des Dorfes hören, ja den Wind den Staub durch die verlassene Gegend wehen zu sehen.

Kaum zu glauben, dass dies ein Schweizer schrieb – ist der Norden sowohl landschaftlich als auch mental hervorragend beschrieben. Im Ton erinnert es ein wenig an „Räuberhände“ von Finn-Ole Heinrich, an „Tschick“ und den „Fänger im Roggen“. Ein wunderbares Buch und bestes literarisches Kopfkino über das Erwachsenwerden und allerlei damit verbundenes Unbill normaler und skuriller Art in der tiefsten, entvölkerten Provinz. Ab 14 Jahren.

4 Kommentare zu “Pampa Blues / Rolf Lappert

    • „Nach Hause schwimmen“ werde ich auch noch lesen nach diesem Lektüreerlebnis. Der „Pampa Blues“ ist übrigens nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis …

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