Es ist so eine Sache mit der Musik von Bruce Springsteen und mir: in der Zeit meiner musikalischen Sozialisation erreichten mich nur einige seiner Songs wie etwa das frühe „Born to run“ vom gleichnamigen ersten Erfolgsalbum aus dem Jahr 1975, einige Titel des Allbums „Nebraska“ (1982) und – ja! – durchaus auch Stadionrock-Titel wie „I’m on fire“ oder den Krieg verurteilende Songs wie „War“. Eine nachhaltige Beschäftigung mit dem Rockmusiker und seinen Motivationen blieb aus – andere Künstler interessierten mich seinerzeit mehr.
Per Zufall stieß ich jetzt auf die laut Publishers Weekly derzeit „bei weitem beste Biografie über den Superstar“, die zudem noch den Status „autorisiert“ besitzt. Um es kurz zu machen: ich las mich fest und bin sehr beeindruckt sowohl von dem Buch als auch von dem ihn im porträtierten Musiker. Peter Ames Carlin blickte über Jahre gewissermaßen hinter die Kulissen, interviewte Familienangehörige, Freunde, Förderer und natürlich auch Mitglieder der legendären E-Street-Band wie etwa den beeindruckenden, 2011 gestorbenen Saxofonisten Clarence Thomas oder den langjährigen Weggefährten Steve van Zandt. Auch der Musiker selbst kommt zu Wort.
Nun könnte man denken, dass daraus eine unkritische Hagiografie entsteht, die den Musiker auf einen Sockel stellt und blendend ausleuchtet. Doch dieses bei Musikerbiografien häufige Phänomen, das mich aus diesem Grund auch selten zu ihnen greifen lässt, ist hier zum Glück nicht zu beobachten. Im Gegenteil: zwar ist Carlin der Respekt für den Menschen und Musiker Springsteen und dessen Talente deutlich anzumerken. Aber er blendet auch die Schattenseiten nicht aus, den langen Weg zu sich selbst, das durchaus zunächst nicht unproblematische Verhalten gegenüber Frauen, Entscheidungen, die selbst langjährige Freunde und Bandmitglieder zuweilen fassungslos machten und der Hang zum Pefektionismus, der natürlich auch eine positive Seite hat.
Springsteen hat aufgrund seiner Herkunft aus einer eher armen Arbeiterfamilie nicht unbedingt die besten Startbedingungen gehabt, obwohl er zunächst als sehr aktives, unbeschwertes Kind aufwuchs und erst mit dem Eintritt in eine katholische Schule zum „Problemkind“ wurde. Der Aissenseiter, rebellierend gegen den alkoholkranken Vater und gleichzeitig in den Werten der amerikanischen Arbeiterklasse verwurzelt, fand mit zehn Jahren seine Begeisterung für die Rockmusik und begann gleichzeitig Gitarre zu spielen.
Carlin zeichnet seine Biografie nach vom schüchternen, musikalischen Außenseiter bis hin zu dem Musiker, der zunächst mit innerem Befremden vor immer größeren Zuhörerschaften auftrat und seine eigene musikalische Vielfalt und Virtuosität über die Jahre und Jahrzehnte immer weiter ausbaute. Dabei widerstand Springsteen allen Versuchen, ihn politisch zu vereinnahmen (etwa durch die amerikanische Rechten, die seinen Song „Born in the U.S.A“ gründlich mißverstand) und bezog nur dann – und dann deutlich – Position, wenn er das mit sich selbst und seinen Werten vereinbaren konnte (etwa bei der Wahlkampagne für Obama nach 8 Jahren Bush-Administration). Carlin reflektiert klug Springsteens privates und musikalischen Leben in der jeweiligen Gegenwart und den politischen Zusammenhängen der Zeit, lässt kritische Stimmen zu Wort kommen und enthüllt gleichzeitig die musikalische Vielfalt und Bandbreite Springsteens, die sich bei weitem nicht beim Stadionrock erschöpft, sondern auch zu sehr subtilen, anspruchsvollen Arrangements und Songtexten in der Lage ist. Es ist erstaunlich, welche stilistische Bandbreite das umfangreiche Werk von Springsteen mittlerweile umfasst. Trotzdem zieht sich die Beschäftigung mit dem alltäglichen Leben der „einfachen“ Menschen wie ein roter Faden durch die Songs, macht sie ebenso unverwechselbart wie authentisch.
Fazit: eine spannende Musikerbiografie, die man nach über 600 Seiten beeindruckt aus der Hand legt. Das Buch gibt einen sehr persönlichen, facettenreichen und lebendigen Einblick in das Leben und die Arbeit des hochtalentierten Musikers und nimmt einen zugleich mit auf eine Zeitreise durch Jahrzehnte der Zeitgeschichte mit einem Fokus auf den USA. Es macht Lust zum Nachhören der vielen Songs und Alben, deren Entstehungsgeschichte zum Teil bis ins Detail wiedergegeben wird, und stellt den Musiker und seine Weggefährten geschickt und nachvollziehbar in den Kontext ihrer Zeit.
Wunderbar, und als Ergänzung sollte man ihn einmal Live auf der Bühne erleben.
Liebe Grüße dm
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Das glaube ich bestimmt und hoffe auf einen Auftritt in meiner Heimatstadt bei der nächsten Tournee 😉
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Ha! Das muss ich haben! War wohl eine gitarrenlastige Gedankenübertragung! Grüße von der Thunder Road…Julia
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Siehste!! Ich sag nur „Born to run““.
Viel Spaß beim Lesen wünscht
Jarg
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Ich setz das auch auf meine „noch zu Lesen Liste“ danke
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Gern geschehen. Ein schönes Leseerlebnis wünscht Dir
Jarg
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