Vor 25 Jahren hätte ich den Urlaub in einem familientauglichen Hotel mit Rundumversorgung vermutlich spiessig gefunden. Damals war ich bevorzugt mit Rucksack und Wanderschuhen unterwegs, schlief gerne im Zelt, ernährte mich von Hafer-Rosinen-Sojamehlpamps oder Brot und Käse und war froh, immer mal wieder etwas frisches Quellwasser zu finden. Duschen reichte auch alle paar Tage, denn Gesellschaft brauchte ich meist nicht und war morgens suf dem Zeltplatz der Erste, der aufbrach.
Nicht das sich daran etwas geändert hätte: auch heute noch könnte ich mir einen solchen Urlaub gut vorstellen. Nur leider wird derzeit niemand aus der Familie bereit sein, sich zwei Wochen lang von Haferbrei in allen möglichen heissen und kalten Aggregatzuständen zu ernähren und auf dünnen Isomatten zu schlafen. Aber ich habe Hoffnung.
Fakt ist: es gibt auch andere Arten von Urlaub. Zum Beispiel in familienfreundlichen Hotels der größeren Art. Morgens Buffet, abends Buffet, dazwischen fünf Stunden im angeschlossenen schönen Schwimm- und Thermalbad mit verschiedenen Möglichkeiten, seinen Körper schwitzen und die Seele dabei baumeln zu lassen. Dazu kleine Ausflüge zum Geocachen in Ruinen und Abbruchhäusern und abends dann noch eine Runde auf der leicht maroden Kegelbahn aus den 1970er Jahren. Und lesen. Mindestens drei Bücher.
Auch wenn das gewissermaßen ein Urlaub mit dem Dekor „Eiche rustikal“ ist (man könnte es neudeutsch auch Wellnessurlaub nennen), waren wir wohl selten so tiefenentspannt. Lediglich der gewissermaßen „russische Aufguss“ einer in der Sauna einen Filzhut tragenden, sehr korpulenten älteren Dame mit herrlich rauhem russischem Akzent („Wirrr hierr machchen Aufguss, ja??“) in der finnischen Sauna störte ein wenig das Bild, erheitert aber seither zahllose Smalltalkrunden. Wohl selten habe ich jemanden so emsig Wasser auf den Ofen schütten und hektisch mit dem Handtuch quirlen sehen: gleich dreimal kurz hintereinander. Aufguss, Handtuch, Aufguss, Handtuch, Aufguss, Handtuch. Dann ein tiefer Seufzer und knarzende Saunabretter. Das Angebot zur Abkühlung mit dem im Handtuch dargereichten Unmengen kleiner Eisbrocken („Willst Du auchch Schnääh?“) habe ich allerdings dankend abgelehnt. Nach fünf Minuten war die filzbehelmte. handtuchquirlende und robust wirkende Erscheinung samt gleichaussehender filzhutloser Begleitung (Zwillingsschwester? Mann? Ich hatte keine Brille auf und mochte auch nicht so gucken) wieder fort und in der Sauna fühlte es sich an wie im Inneren eines Hochofens zur Stahlherstellung. Eigentlich mag ich als wüstenliebender Mensch, der nur durch einen unglücklichen Irrtum nicht am Rande der Sahara geboren wurde, die finnische Sauna ja lieber trocken: aber sich einmal wie ein Mensch gewordenes Brühwürstchen fühlen hat ja auch was und die Szene war wirklich unvergesslich. Ich fühlte ich jedenfalls wie mit kochendem Wasser übergossen und habe mich kurz darauf nach draussen an die frische Luft zum Abkühlen begeben. Vermutlich bin ich jetzt gestählt für die faszinierenden Weiten der russischen Taiga, könnte einen verrosteten Mil Mi 10 Lastenhubschrauber fliegen und Atomeisbrecher durch die Beringsee steuern.
Es folgten mehrere recht anstrengende, aber auch überaus anregende Tage auf einem großen Kongress, verbunden mit einiger Aufregung, da ich zusammen mit jemand anderem einen Vortrag halten sollte. Kongresse sind für ich immer das Gegenteil von Wellnessurlaub: ich schlafe unglaublich wenig und versuche, so viel an Information aufzusaugen wie möglich. Dazu kommen zahllose Gespräche, Informationen auf der Messe über neue Produkte udn Dienstleistungen, launige abendliche Runden und ein Kopf, der auch nachts noch vor sich hinrattert. So geht es vielen so wie mir: nach einer so großen Veranstaltung ist man voll wie ein Schwamm. Das Hirn ist voller Informationen und Anregungen und läuft auf Hochtouren, um alles zu sortieren, aufzuräumen und sich setzen zu lassen. Andere brauchen Chrystal Meth und Kokain, meine Berufsgruppe hat wie vermutlich auch andere Berufsgruppen ihre Kongresse. Kongresskoks. Das spürt man dann noch ein paar Tage danach im harten Entzug. Berufsalltag ist da sehr hilfreich. Schlaf auch, wenn der denn endlich wiederkommt.
Dann sitzt man abends müde und leer noch ein wenig an den ganzen aufgelaufenen Blogkommentaren, antwortet hier, klickt da und stellt am nächsten Morgen fest, dass man das Layout des Blogs zerschossen hat, alles dreispaltig ist und Widgets an Stellen stehen, wo sie nicht hingehören. Kongresskoks ist also auch keine Lösung. Also schnell aufräumen, dabei einmal ein paar Widgets löschen oder verschieben und so alles ein bisschen Aufhübschen. So, und jetzt nehme ich Filzhut, drei Rollkragenpullover und meinen Wintermantel und gehe Joggen. Handtuchquirlende russische Saunamatronen irren nie!!
dein Holzverschlag hat es mir angetan und ich moechte einen solchen unbedingt in unserem Garten! Auch wuensche ich viel Kraft fuer den naechsten Kongress😄
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Liebe Martina,
danke schön!! Bezüglich des Holzstapels empfehle ichDer Mann und das Holz. Seitdem ist mein Traum, einen solchen Holzstapel zu errichten. Wohlgemerkt: auf meinem Balkon. Und wir haben keinen Holzofen.
Herzlich grüßt Dich
Jarg (auf langsam erfolgreichem Kongresskoksentzug)
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Hihihi, vergnügliche Lektüre, lieber Jarg! 😀
Frohes Laufen und schöne Ostern für dich und deiner Familie! 🙂
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Danke schön!! Das wünsche ich euch auch nach diesem Tag vielen Stunden an der eiskalten, aber frischen Frühlingsluft.
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