Als ich den Weg zurückgehe, fühle ich mich klein, will plötzlich an allen Seiten Wände um mich haben.
Ich stehe in der Küche und sehe mich um. Der Raum ist zu groß. Daher gehe ich die Treppen hoch in den ersten Stock und steige dann die Leiter hinauf in den Raum mit dem Leuchtfeuer. Der Lichtkegel macht seine langsamen, gleichmäßigen Bewegungen, und der Wind zerrt heftig an den Glasscheiben. Ich kauere mich in eine Ecke, wo die Holzplattform an zwei Fenster stößt.
Dank dem Leuchtfeuer und der aufsteigenden Wärme des Holzofens ist es warm im Raum. Das Glas an mir ist kalt. Irgendwo in mir gleichen sich die beiden Temperaturen aus. Ich habe Angst davor, alleine hier zu sein, aber ein teil von mir weiß, dass es das ist, was ich brauche. Das Meer unter mir, dunkel und stürmisch, steigt an und verbindet sich mit dem Meer in mir. (S. 195)
Die introvertierte Anna, die sich seit der Highschool mit kleinen Jobs durchschlägt, um ihre Kletterleidenschaft zu finanzieren, trampt seit Monaten durch Alaska und trifft auf den jungen Fischer Kyle. Rasch wird aus den beiden ein Paar. Während er im Sommer als Fischer und sie in einer Bar arbeitet, verbringen sie den Winter in Mexiko. Nach einem Jahr bietet sich ihnen die Gelegenheit, den Winter über in einem einsam und abgelegen auf einer Insel gelegenen Leuchtturm, der seit dem geheimnisvollen Verschwinden des letzten Leuchtturmwärters niemand mehr bewohnt hat, zu verbringen und das Bauwerk und seine technischen Einrichtungen dabei in Stand zu halten.
Mit dem hereinbrechenden harten Winter Alaskas wird die Einsamkeit der Wildnis für beide trotz der mitgebrachten physischen und psychischen Härte jedoch zu einer großen Herausforderung. Während Kyle seine ganze freite Zeit dem Bau eines Kajaks nach alten, im Leuchtturm gefundenen Plänen widmet, zieht sich Anna immer öfter in die Glaskuppel des Leuchtfeuers zurück, um zu zeichnen. Rasch wird deutlich, dass beide Geheimnisse voreinander haben – und für beide die Einsamkeit eine unterschiedliche Bedeutung hat. Auch der Leuchtturm selbst birgt ein Geheimnis: immer wieder stoßen sie auf rätselhafte Spuren des letzten Leuchtturmwärters – und ein seltsamer Fischer, der immer wieder mit seinem Boot in der Nähe auftaucht, beunruhigt beide.
Als ein Schiff vor der Küste des Leuchtturms kentert, kommt es zu dramatischen Stunden, die beiden den Boden unter den Füßen fortreissen und doch etwas Entscheidendes verändern …
Rachel Weaver ist ein äußerst beeindruckendes Romandebüt gelungen. Vor dem Hintergrund der wilden Schönheit Alaskas entfaltet sie eine intensive Geschichte über Liebe und Versöhnung und zwei Menschen, die beharrlich ihre tiefsten Geheimnisse und Verletzungen voreinander hüten und erst in der rauhen, ausgesetzten Einsamkeit der Leuchtturminsel entdecken, was sie wirklich brauchen, um mit den Verwerfungen ihres Lebens in Einklang zu kommen. Dabei weicht Weaver erfolgreich erwartbaren Entwicklungen der Geschichte aus und schafft es bis zum Schluss, sowohl die Spannung zu halten als auch den möglichen Ausgang der Geschichte in der Schwebe zu halten, in dem sie geschickt die einzelnen Fäden zu einem erst am Ende klaren und nachvollziehbaren Gesamtbild verwebt. Den Fokus setzt sie auf die Ich-Erzählerin Anna, in deren Handeln und Erleben sich auch Kyle spiegelt. Am Ende weiss der tief berührte Leser nicht nur über Anna und Kyle und ihre jeweiligen Lebensverwerfungen Bescheid, sondern erfährt auch die Lösung um das Rätsel des letzten Leuchtturmwärters.
Es ist deutlich spürbar, dass Weaver selbst für den Alaska Forrest Service gearbeitet hat: mit ihren Beschreibungen sowohl der Landschaft und Witterung als auch des alltäglichen Lebens gelingen ihr eindrucksvolle Bilder, die ihre gänzlich kitschfreie Geschichte um Anna und Kyle großartig rahmen und stützen zugleich. Inspiriert wurde sie für den Romanschauplatz wohl vom „Eldred Rock Lighthouse“, dem letzten noch bis Ende der 1970er Jahre bemannten Leuchtturm Alaskas.
Wer Abenteuerromane in rauhen Landschaften zu schätzen weiß, die äußere Abenteuer in einer menschenfernen Wildnis mit den inneren Abenteuern der Menschen zu verknüpfen wissen, wird mit der Lektüre von „Die Stille unter dem Eis“ ein ebenso bewegendes wie nachhaltiges Lektüreerlebnis haben. Eine wunderschöne, ebenso dramatische wie berührende Geschichte, die ich gerne empfehle.
Ja, mir ist mal wieder nach einem abenteuerlichen Schmöker. Wünsche ein schönes Wochenende! 🙂
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Danke schön!! Und viel Freude beim Lesen!
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ein sehr schöner Tipp wunderbar beschrieben. Der Titel kommt gleich einmal auf meine Wunschliste. Ich bin ein Freund von Geschichten, die im hohen Norden/in rauen Landschaften spielen. Danke für den Hinweis. Viele Grüße
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Gern geschehen. Eine intensiv erlebte Lektüre wünscht Jarg
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Das klingt sehr interessant – danke mal wieder ür diesen Tipp
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Immer gerne!!
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