Man kann sich kaum eine üblere Kindheit und Jugend vorstellen als die von Henry Chinaski, dem Protagonisten und Alter Ego des Autors. Er wächst als Sohn eines US-Amerikaners mit deutschen Wurzeln und einer deutschen Mutter in Los Angeles auf. Der Vater schlägt sich als Milchfahrer durch, verliert wegen der Wirtschaftskrise der 1920er Jahre sein Job und verlässt trotzdem jeden Morgen das Haus, um den Schein zu bewahren. Er betrügt seine Frau. setzt seinen Sohn unter Erfolgsdruck und lässt seine Aggressionen ungehemmt
mit Prügeln an Henry aus. Die Mutter steht abseits, schreitet nicht ein, selbst Opfer genug eines von seiner Wut getriebenen Mannes, der den amerikanischen Traum hochhält und doch selbst daran gescheitert ist.
Henry selbst gilt in der Schule als „Der Deutsche“, hat keine Freunde und kann sich anfangs nur mühsam gegen andere durchsetzen. Als schulisch erfolgloser, seiner ablehndenden Umwelt mit Zynismus und Sarkasmus begegnender Außenseiter findet er bis auf seine Liebe zu Büchern nirgends wahre Zuflucht. Als Teenager entwickelt er überdies eine schlimme, schmerzhafte Akne, die in eine einjährige, überaus schmerzhafte Behandlung zwingt und den Schulbesuch unmöglich macht. Eher kleinwüchsig und erfolglos, hat er auch beim anderen Geschlecht keine Chance und entwickelt Distanz zu seinen Altersgenossen, die mit ihren vermeintlichen oder tatsächlichen sexuellen Erfahrungen prahlen. Alkohol und Gewalt werden zum Ventil für den erwachsen werdenden Henry, der früh den Wunsch verspürt, Schriftsteller zu werden, jedoch immer weiter abrutscht. Nur wenn er allein ist, fühlt er sich wirklich frei …
Charles Bukowski autobiographischer Roman „Das Schlimmste kommt noch“ ist kein leichter Stoff: Henry ist kein letztlich sympathisches Opfer seiner in vielerlei Hinsicht brutalen Sozialisation, das einem die Identifikation erleichtert. Und dennoch: als Leser hängt man wie gebannt an den Erzählungen des Protagonisten von seiner Jugend in Los Angeles, von Verarmung, häuslicher Gewalt, Einsamkeit, von Suff und Gewalt und ahnt, wie schmal der Grad gewesen sein muss zischen dem Weiterleben allem Elend zum Trotz und dem langsamen oder schnellen Tod durch Alkohol, Schlägereien oder den gelegentlich erwägten Selbstmord: trotzdem er am Ende in einem wackligen Schuppen wohnt mit dem Alkohol als einzigem verlässlichen Freund, zieht Henry das Leben vor – ungeschminkt, hart und doch das einzige, was er hat. Eben dieses „Trotzdem“ lässt den Leser durchhalten, lässt ihn all den Rotz und das Elend, Blut, Kotze und Gewalt aushalten: den Henry ist in der Beobachtung seiner Mitmenschen und ihrer Verlogenheiten, aber auch ihrer Einsamkeit und ihrer Täuschungen, gnadenlos genau und beweist damit eine tief unter der rauen Oberfläche verborgene Empfindsamkeit, die den Leser mit ihm versöhnt.
Eine bedrückende autobiographische Geschichte aus den Grenzbereichen der amerikanischen Gesellschaft, gekennzeichnet von brutaler Offenheit und zwischen den Zeilen verborgener Ironie.
Bukowski ist großartig. Wenn man sich einmal in seine Sprache eingelesen hat und seine Vulgarität einfach als Stilmittel sieht, dann entdeckt man einen der ehrlichsten und sensibelsten Dichter seiner Zeit.
Sehr schön ist auch ein Teil seiner Gedichte.
Danke für die schöne Rezension und die Erinnerung an ihn. Werde seine Bücher wieder mal hervorholen müssen.
Thomas.
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Gern geschehen, lieber Thomas. Das Buch war trotz fortgeschrittener Jahre mein erster Bukowski – da ist mir bisher auf jeden Fall etwas entgangen. Werde ich nachholen: das nächste steht schon daheim.
Herzlich grüßt Jarg
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Ja? Was ist es denn? Amüsant ist ja „Der Mann mit der Ledertasche“.
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Exakt das. Siehste Mal: Bukowski ewig verpasst, aber jetzt bin ich fix dabei, die Lücke zu schliessen.
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