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Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten : [Wayfarer 1] / Becky Chambers

Ashby war ein toleranter Mensch, aber wer Port Coriol nicht mochte, sank ein wenig in seiner Achtung. [..] Endlos lange Straßen mit offenen Ladenfronten, die von Klamotten, Tand und allerlei Ramsch überquollen. [..] Kalte unterirdische, mit Bots und Elektronikchips vollgestopfte Bunker, in denen sich rund um die Uhr euphorische Techs und Modder mit allen nur vorstellbaren Implantaten drängten. [..] Eine Menagerie aus Geschöpfen, die sich in einer schwindelerregenden Vielfalt von Sprachen unterhielten, Hände schüttelten, Pfoten packten und über Tentakel strichen. [S.132 ]

Science-Fiction hat ja eine durchaus große Bandbreite: das reicht von mit techniklastigen, einfach gestrickten Action-Abenteuern über anspruchsvolle wissenschaftsdurchsetzte Raumfahrtgeschichten, den literarisch imaginierten Kontakt mit fremden Zivilisationen bis hin zu literarischen Adaptation möglicher Entwicklungen in Technik und Gesellschaft oder dem leeren, gleichgültigen All als dunkler Spiegel für das Menschsein an sich. Die weniger lesenswerten Geschichten setzen dabei auf Raumfahrt, Zukunftstechnik, exotische Wesen und viel Krawumm als beliebige Kulisse seichter Geschichten. Andere nutzen das Genre und vermögen es, mittels einer spannenden Geschichte anregende Reflexionen über die Zukunft und das Menschsein, das Leben an sich in Szene zu fassen. Ausschliesslich letztgenannte Variante interessiert mich und findet immer mal wieder in Form ungewöhnlicher Geschichten auf meine Leseliste.

Die Geschichte spielt in einer fernen Zukunft, in der Menschen längst die verwüstete Erde verlassen haben und sich zusammen mit anderen galaktischen Spezies um ein halbwegs friedliches Miteinander bemühen. Rosemary Harper hat mit einer gefälschten Identität auf einem billigen Kapseltransport aus zunächst nicht näher bekannten Gründen den Mars verlassen mit dem Ziel, fern von ihrer vertrauten Welt auf einem Raumschiff namens Wayfarer einen Verwaltungsjob anzunehmen und unterzutauchen. Das von Captain Ashby geleitete alte, mehrfach umgebaute Raumschiff führt Aufträge der Galaktischen Union aus und schafft mit seinem Spezialbohrer Wurmlöcher und damit schnelle Verbindungswege zwischen weit entfernten Bereichen der Galaxie.

Die von unterschiedlichsten Planeten stammende Besatzung ist dabei oft monatelang an Bord: neben dem erfahrenen, um Ausgleich und Fairness bemühten Captain Ashby sind darunter die freundliche, stets auf Kuschelkurs befindliche, aus dem reptiloiden, promiskuitiv veranlagten Volk der Aandrisk stammende Pilotin Sissix, die beiden frickelfreudigen, drogenaffinen Techniker Kizzy und ihr zwergenhafter, heimlich in die freundliche Schiffs-KI Lovey verliebter Kollege Jenks, der sechsbeinige, insektenähnliche Koch und Schiffsarzt Dr. Koch, der griesgrämige, hypochondrische Wissenschaftler Corbin und das pelzige, Berührung verabscheuende Sianat-Paar Ohan, das durch einen speziesspezifischen Virus zu ungewöhnlichen astronomischen und unverzichtbaren Navigatorfähigkeiten in der Lage ist, aber bald sterben wird.

Als Ashby einen riskanten, aber äußert lukrativen Auftrag der Galaktischen Union (GU) annimmt, gerät die Routine an Bord aus der Balance: sie sollen einen Tunnel zu dem Planeten Hedra Ka im Raumbereich der kriegerischen Toremi Ka schaffen, einer in etliche verfeindete Clans aufgeteilten Spezies, die nahe am Kern der Galaxis lebt und in die GU aufgenommen werden soll. Schnell wird deutlich, dass Ahsby und die Crew der Wayfarer ein hohes Risiko eingegangen sind. Doch die Besatzung ahnt nicht, dass die Gefahr weitaus größer ist als gedacht und es auf die besonderen Fähigkeiten und den Zusammenhalt aller ankommen wird.

Becky Chambers Buch ist nicht ohne genretypische Action, setzt seinen Fokus aber konsequent auf die Besatzung der Wayfarer und ihrer Fähigkeit, sich trotz unterschiedlicher Weltsicht und Herkunft bei Herausforderungen und Konflikten zusammenzuraufen und auch in schwierigen Situationen den Blick über den Tellerrand zu wagen: gelebte Toleranz, im besten Fall aber die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen und voneinander zu lernen sind das Ergebnis der Bereitschaft, trotz speziesbedingter Unterschiede immer wieder über den eigenen Schatten zu springen. Ein wenig erinnert das Buch an die Werke von Douglas Adams, auch wenn Lovey, der Bordcomputer der Wayfarer, drastisch lebenslustiger ist als Marv aus „Per Anhalter durch die Galaxis“.

Die Protagonisten sind sowohl äusserlich als auch in ihren charakterlichen Eigenschaften und speziesbedingten, zum Teil zunächst überaus befremdlichen Besonderheiten und Verhaltensweisen überzeugend und mit viel Liebe zum Detail gezeichnet und machen jeder für sich eine deutliche Entwicklung durch. Chambers, Tochter einer Astrobiologin und eines Luft- und Raumfahrttechniker, hat dabei nicht nur bizarr extraterrestrische Lebewesen erschaffen, sondern auch die exilierte Menschheit einigen Entwicklungsschüben und Diversifikationen ausgesetzt: Dabei vermeidet sie Stereotype, gibt ihren Protagonisten und Protagonistinnen Ecken und Kanten, die insbesondere bei den Hauptpersonen im Laufe der langen, oft ereignisarmen Reise der Wayfarer auch die individuelle Geschichte hervortreten lassen. Darin gespiegelt sind auch die zum Teil kriegerischen Vorgeschichten ihrer jeweiligen Spezies und die gegenwärtigen Konflikte, mit denen sich die Galaktische Union herumschlagen muss.

Hier draußen im leeren Raum herrscht Frieden. Ich habe Freunde und einen Garten zwischen den Sternen und eine Küche voll schmackhafter Dinge. Jetzt mache ich die Leute gesund. Ich kann zwar nicht so tun, als hätte es den Krieg nie gegeben, aber ich habe vor langer Zeit aufgehört, in ihm zu kämpfen. Ich habe diesen Krieg nicht angefangen. Es hätte niemals mein Krieg sein dürfen. (Seite 284)

Beck Chambers gelingt es in der „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“, Nebenfiguren und Schauplätze überaus plastisch und lebendig zu zeichnen: heruntergekommene Raumhäfen voller schräger Typen und seltsamer Waren, seltsame Monde mit Menschen, die sich mit Implantaten optimieren und sich alljährlich gegen heuschreckenartige Riesenviecher wehren müssen, sowie überaus absurde bürokratische Rituale in innergalaktischen Angelegenheiten tragen zur besonderen Atmosphäre des Buches bei, in dem man sich als Leser rasch zu Hause fühlt.

Dazu kommt eine gelungene Mischung aus unterhaltenden Elementen, Humor und Spannung, die zumindest bei mir dazu führte, dass ich den Tolino kaum aus der Hand legen mochte und gebannt die lange und über weite Strecken unspektakuläre Reise der Wayfarer und ihrer sympathischen Besatzung verfolgte. Am Ende der Reise angelangt, legte ich das Gerät mit grossem Bedauern beiseite, hätte ich doch mühelos weiter dem Schiff, seiner sympathischen Besatzung und ihren Abenteuern und Geschichten folgen mögen.

Die humorvolle, um Toleranz, Freundschaft, Liebe und das Miteinander unterschiedlichster Charaktere handelnde Story gleitet dabei nie in Klischees oder Kitsch ab. Becky Chambers ist ein überaus charmantes literarisches Roadmovie im Scifi-Universum gelungen, das zu Recht unter anderem für den renommierten Arthur C. Clarke Award nominiert wurde. Dabei hat das Buch bei aller erzählerischen Leichtigkeit durchaus eine ernste Botschaft: Zusammenleben ist möglich, wenn man bereit ist, einander zu tolerieren, für gemeinsame Ziele zu kooperieren und auch dem Fremden mit Neugier und der Bereitschaft zu begegnen, einander näher zu kommen und die Gemeinsamkeiten statt der Unterschiede in den Fokus zu nehmen.

Ein überaus lesenswertes und gut lesbares Buch, das man am Ende kaum aus der Hand legen möchte – und wenn, dann nur, weil in diesen Tagen die Fortsetzung erschienen ist.

13 Kommentare zu “Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten : [Wayfarer 1] / Becky Chambers

  1. Pingback: Blogbummel Januar 2018 – buchpost

  2. Sehr schön wiedergegeben, was diesen SciFi so besonders macht. Morgen hol ich Band zwei ab und freue mich nun ein sogar ein klein wenig mehr darauf.

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    • Was mich daran erinnert, DAS ICH BAND ZWEI ENDLICH IN MEINER LIEBLINGSBUCHHANDLUNG BESTELLEN MUSS!
      Danke für deinen feinen Kommentar und eine ausgesprochen positive Rückmeldung zu deiner Rezension desselben.
      Mit herzlichem intergalaktischem Gruss
      Jarg

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  3. Das ist wieder etwas für meine intergalaktische Lesereiselust!
    Danke für Deine aussagekräftige Empfehlung und die feine, einleitende SF-Differenzierung, mit der ich ausgesprochen harmoniere. 🙂
    Sternenstaubige Grüße von
    Ulrike

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