Obwohl wir immer mehr geneigt sind, den Tod aus unserem Alltag zu verdrängen, begegnet er uns unausweichlich irgendwann: mit dem Tod von Freunden, Angehörigen und irgendwann mit dem eigenen Tod. Die 1961 geborene Sue Black ist eine der renommiertesten forensischen Anthropologinnen Englands und ist auch international für ihr Wissen und ihr Engagement bekannt. Eine ihrer wesentlichen Motivationen für ihre Arbeit ist, anhand der sterblichen Überreste herauszufinden, was einem Menschen widerfahren ist oder den Hinterbliebenen die Gewissheit um das Schicksal eines verschwundenen Angehörigen zu geben. Sie arbeitet für die Polizei in Mord- und Vermisstenfällen, aber auch für nationale und internationale Organisationen im Kriegs- oder Katastrophenfall. Zugleich ist ihr Institut aber auch zuständig für die Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses, für den Sektionen am menschlichen Leichnam einen wichtigen und für Sue Black unverzichtbaren teil der Ausbildung ausmachen.
In „Alles, was bleibt“, das ihren drei Töchtern gewidmet ist, zieht sie ein vorläufiges Fazit ihrer Arbeit. Neben ihren ersten Begegnungen mit dem Tod im persönlichen Umfeld, ihrem beruflichen Werdegang und ihren dabei behilflichen, von ihr mit großem Respekt betrachteten stummen Lehrern – den Leichen von Körperspendern, die im Studium komplett seziert werden – geht sie auf die Zersetzungs- und Fäulnisprozesse ein, die mit dem Tod im Körper beginnen. Veränderte Trauerrituale sind ebenso ein Thema wie die verschiedenen Formen der Bestattung bis im forensischen Institut der Universität Dundee ein, beschreibt den Ablauf von Sektionen, beispielhafte spezifische Mord- und Vermisstenfälle und die beeindruckenden Begegnung mit Menschen, die ihren Körper nach ihrem Tod der Wissenschaft zur Verfügung stellen wollen. Stets spürbar ist in der Schilderung von Details die Professionalität Blacks, aber auch ihre Faszination und Neugier im Bezug auf den Aufbau des menschlichen Körpers: winzige Details können dabei wichtig sein nicht nur für die Ermittlung der Todesursache, sondern für die Identifikation des Toten selbst.
Überaus bedrückend und zum Teil schwer erträglich sind ihre Ausführungen zu ihren Einsätzen im Kosovo nach dem Krieg und in Indonesien nach der Tsunamikatastrophe. Zugleich aber ist spürbar, wie wichtig die Arbeit von forensischer Experten bei der Identifizierung von Toten nach Katastrophen, Terrorakten oder Kriegen ist: sie geben den Toten buchstäblich das Gesicht zurück und den Angehörigen die Gewissheit, wo ein geliebter Mensch abgeblieben ist und was im widerfuhr. Sue Black lässt dabei auch erkennen, wie wichtig die innere Distanz forensischer Experten zu ihrer Arbeit ist: nicht wenige schaffen es nicht, diese professionelle Distanz zu wahren und die zum Teil schrecklichen Erkenntnisse ihrer Arbeit nicht in ihr Innerstes vorzulassen. Auch für Sue Black, die hier bemerkenswerte mentale Techniken für sich entwickelt hat, ist diese Grenze nicht immer leicht zu wahren: könnte sie es nicht, ist sie sicher, ihre Arbeit sofort beenden zu müssen.
Ihr Buch ist trotz der teilweise ungewohnten, dabei stets den Respekt vor den Toten und ihren Geschichten spürbaren Drastik der Darstellung überaus lesenswert nicht nur bezüglich des darin vermittelten Wissens über die Arbeit von Forensikern: zugleich plädiert sie zum einen leidenschaftlich für die Sektion als Mittel der Schulung angehender Mediziner, die trotz moderner Verfahren nicht zu ersetzen sei in der medizinischen Ausbildung.
Zum anderen wird deutlich, wie wichtig gut ausgestattete gerichtsmedizinische Institute, aber auch schnell reagierende internationale Kooperationen im Katastrophenfall sind. Erstaunlich ist auch, wieviel die sterblichen Überreste eines Menschen nach Jahrzehnten der Forschung mittlerweile Fachleuten erzählen können – und wo allem fiktiven Forensikern in Film und Buch zum Trotz immer noch die Grenzen liegen.
Eine klare Empfehlung für alle, die an Naturwissenschaft, Medizin und Kriminologie zugleich interessiert sind.
Danke, Jarg.
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Immer gerne, liebe Ulla
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