Wenn man mit Blaulicht direkt von der Arbeit ins Krankenhaus kommt und einige Tage dort verbringen muss, ist man froh über jede Lektüre. Und so waren denn die fünf bis sechs Stunden, die ich im Krankenhausbett – gelegentlich wegdämmernd – mit Carlos Ruiz Zafóns „Der dunkle Wächter“ verbrachte, durchaus kurzweilig. Zum Roman: Nach dem Tod ihres Mannes und den drückenden Schulden, die er hinterlässt, ziehen Simone Sauvelle und ihre Kinder Irene und Dorian in ein Dorf an der Küste der Normandie. Simone findet Arbeit im Schloss des geheimnisvollen Spielzeugfabrikanten Lazarus Jann, der mitsamt seinen mechanischen Geschöpfen und seiner kranken Frau, die er vor den Menschen verbirgt, im einsamen Schloss Cravenmoore lebt. Auch Irene und Dorian finden sich schnell in der neuen Umgebung zurecht, trotzdem sie einige Rätsel birgt: warum dürfen einige Räume des Schlosses nicht betreten werden, warum verbirgt Jann seine kranke Frau, woher kommen die seltsamen Lichter am einsamen Leuchttumr vor der Küste und die eigenartigen Spuren im Wald vor Cravenmoore. Als ein Mord geschieht, entfesselt sich plötzlich eine unheimliche Macht – und für Irene und ihrem neuen Freund Ismael geht es plötzlich ums nackte Überleben.
„Der dunkle Wächter“ ist, wie bereits angedeutet, ein echter Schmöker. Im spanischen Original erschein der Roman als Teil einer Trilogie wohl bereits 1995. Mit Carlos Ruiz Zafon ist das so eine Sache: den hier noch nicht besprochenen „Schatten des Windes“ halte ich weiterhin für einen wunderbaren Roman. Alle weiteren Bücher von ihm, die ich bisher las, hinterliessen einen zweispältigen Eindruck: Schmöker waren es alle, aber zum Teil wirkten sie, als hätte Zafon über das Gerüst der Geschichte nur neue Worte und Sätze geworfen. Diesen Eindruck hat man beim „Dunklen Wächter“ nicht unbedingt, aber dennoch ist der Roman nicht aus einem Guss, wobei unklar ist, ob offensichtliche Übersetzungsfehler oder Schlampereien des Autors die Anschluss- und Übergangsstörungen verursacht haben, die man an manchen Stellen unschön empfindet. Das ist auch deshalb betrüblich, weil dem Autor nicht nur berührende Worte in den als Prolog und Epilog verwendeten Briefen gelingen, sondern auch durchaus schöne, beeindruckende Bilder und Beschreibungen des Dorfes, seiner Bewohner und des Grauens, dass unter allem lauert. Dennoch: ein netter Schmöker, durchaus kurzweilig, den man danach bedenkenlos weiterschenken kann. Denn zweimal lesen muss man ihn nicht.
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