Cook County am Lake Superior, im Norden von Minnesota. Der geschiedene Mittvierziger Lance Hansen, Vater eines siebenjähri- gen Sohnes, ist nicht nur Polizist und Ranger in der beschaulichen Provinz, sondern auch so etwas wie ein lebendes Archiv der Region, hat er doch zu Hause eine umfassende Sammlung von Dokumenten, die weit in die Geschichte der Region zurückreichen bis in die Zeit der von Europäern vertriebenen indianischen Ureinwohner und der skandinavischen Eiwanderung. Sein Alltag als Ranger ist recht unspektakulär, geht es doch meistens um wilde Müllkippen, illegales Zelten oder Angeln und ähnliche Bagatelldelikte. An Gewaltverbrechen kann sich niemand erinnern, am wenigsten er selbst.
Bei einer Routineüberprüfung entdeckt Hansen aber nicht nur einen blutverschmierten, nackten jungen Mann, sondern wenig später eine ebenfalls nackte, übel zugerichtete männliche Leiche. Beide Männer sind Touristen aus Norwegen – und so ist neben dem dazugerufenen FBI bald auch ein norwegischer Ermittler im Einsatz, um den ersten Mordfall in dieser Gegend aufzuklären. Schon bald richtet sich der Verdacht gegen einen den überlebenden Norweger, und die Spuren am Tatort scheinen das zunächst zu bestätigen.
Lance Hansen hat Zweifel daran, lässt sie sich aber nicht anmerken: denn er hat seinen jüngeren Bruder Andy kurz vor dem Mord unweit des Tatortes gesehen. Heimlich geht er auf Spurensuche, taucht dabei immer tiefer in die Vergangenheit von Cook County ein, bis er einen weiteren Mord entdeckt. Doch dieser liegt über einhundert Jahre zurück. Während Hansen schweigt, um seine Familie zu schützen und sich mit Gewissensbissen seiner Verantwortung als Polizist nicht zu stellen vermag, findet er Verbindungen des Mordes von 1892, die bis in die Gegenwart reichen. Doch diese Verbindungen stellen sich als überraschend anders dar, als sie zunächst scheinen …
Dem Norweger Vidar Sundstol ist mit seinem von Ulrich Sonnenberg ins Deutsche übertragenen Buch ein bemerkenswerter Krimi gelungen, der atmosphärisch dicht und ungemein packend von den Ermittlungen in einem Mordfall in der amerikanischen Provinz erzählt und gleichzeitig tief und mit authetisch erscheinenden literarischen Bildern in die Geschichte der Region, ihre skandinavischen Wurzeln und Einflüsse und die ihrer Ureinwohner, der Native Americans, eintaucht. Überzeugend entwickelt er seine Protagonisten, allen voran den schweigenden Polizisten Lance Hansen, der sich zwischen seiner Verantwortung als Polizist und der für seine nächsten Angehörigen verliert, in dem er auf der Flucht vor der Gegenwart in die Vergangenheit abtaucht. Sundstol, der selbst eine Weile in den Staaten gelebt hat, fühlt sich dabei gut ein in die Mentalität der Einwanderer und vermitteln en passant ein faszinierendes Stück lokaler amerikanischer Kulturgeschichte und Landeskunde.
Das alles ist sprachlich ansprechend gefasst, gut komponiert und aufgebaut, so dass man das Buch bis zu seinem Ende kaum aus der Hand legen möchte. Ein Kriminalroman, der über sein Genre hinausweist, zu den literarischen Kriminalromanen gezählt werden sollte und nicht nur den norwegischen Rivertonprisen, sondern weitaus mehr verdient: nämlich viele Leserinnen und Leser.
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Herzlichen Dank für die ausführliche Rezension … wir kennen den Autor (noch) nicht, und freuen uns daher sehr, wieder einmal einen Kriminalroman von Dir vorgestellt bekommen zu haben, „der über sein Genre hinausweist“.
mb
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Ich kannte Sundstøl auch noch nicht und hoffe, dass noch mehr von ihm übersetzt wird.
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Bin gespannt, welche Verstrickungen sich daraus ergeben.
C.H.
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