„Alles über die Welt“ – da erwartet der Leser vielleicht den ganzen großen romanhaften Entwurf zur Menschheit an sich. Doch es kommt viel besser. Klaus Ungerers kaum als Roman zu bezeichnendes Buch irrlichtert in über hundertfünfzig Geschichten an über hundertfünfzig Schauplätzen über die Erde und wirft einen schlaglichtartigen Blick auf vergessene Helden, seltsame Ereignisse, Zufälle, Katastrophen, die mit subtiler Kraft die Welt verändert haben. Endlich erfahren wir, wie das wirklich war, als Aleksandr Aleksandrowitsch Schinenkij beim Kartenspielen einen ganzen Ort verspielte, als das Tunguska-Ereignis 60 Millionen Bäume fällte und was wirklich geschah mit dem dänischen Polarforscher Mylius-Erichsen, der 1907 in Grönland verscholl.
Nun wissen wir, dass es auch die Niederlande nicht leicht haben, wo doch der langjährige Hutmacher der Königin verstarb und drei Passanten täglich von Windmühlenflügeln verletzt werden. Wir reisen nach Pitcairn kurz nach der Bountymeuterei und lernen aus der Geschichte von dessen Besiedung, dass es nur ein einziges Menschheitsproblem gibt, nämlich Männer im waffenfähigen Alter. Verblüfft erkennen wir, warum das Internet isländische Kobolde in ihrer Existenz bedroht, und erfahren endlich den Namen des ersten Schweizers, der im Aralsee schwamm. Und wer hätte Zusammenhänge zwischen Osnabrück und Kapitän Cook vermutet, kennt die kontaktfördernde Funktion der Bettwanze, weiss von jenem weltumspannenden telegraphischen Tickeditack am 27.8.1883, der Explosion des Krakatau folgend und globale mediale Hysterie auslösend wie heute Twitter und Facebook?
Ungeres Buch kommt ernst daher als Mischung von Reiseberichten, Katastrophenmeldungen, Wissenschaftssatire und Feuilleton und ist doch voller Ironie: schlaglichtartig wirft es so einen melancholischen und zugleich komischen Blick auf die Menschheit, fernab des üblichen Heldentums. Eingestreut in die jeweils einer Weltregion der enthaltenden Karte zugeordneten Kapitel sind Bilder von abgestürzten Flugzeugen und verbinden so gleichsam, was die 150 Miniaturen uns zu sagen scheinen: Flugkunst und Absturz liegen dicht beeinander – und die menschliche Fähigkeit zu Höhenflügen geht immer einher mit einem gerüttelt Maß an Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten.
Ein warmherzig-komischer, melancholischer Blick auf die Menschenwelt, bei dem einem manchmal der Atem stockt und der die eine oder andere Recherche auslöst nach den realen (oder doch fiktiven) Ereignissen und Personen.
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Gern geschehen! Und danke für das Schreiben dieses bemerkenswerten Buches, das mir erst einige Zeit nach Erscheinen in der Bibliothek in die Hände geriet.
Herzlich grüsst
Jarg
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Das klingt so schön schräg, das muss ich haben!!!!
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Unbedingt Rechner oder Notizbuch in Reichweite beim Lesen: man fängt unweigerlich an zu Recherchieren … 😉
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