
Und du spürst es, es wir nichts mehr werden,
du fühlst es, wie tausende Scherben,
und siehst, wie der große Plan zerfällt.
Kommt zusammen, nach schlaflosen Nächten,
kommt zusammen, nach letzten Gefechten,
im allergrößten Club der Welt.
(Im Club / Kettcar. Zitiert nach: songtexte: http://www.songtextemania.com/im_club_songtext_kettcar.html)
Die 2001 gegründete Band Kettcar aus Hamburg ist aus unerfindlichen Gründen bisher komplett an mir vorbeigegangen: mit „Zwischen den Runden“ legten sie 2012 ihr viertes Album vor, dass ich mir vor Kurzem auf den MP3-Player lud, bevor ich zum Joggen aufbrach. Seitdem habe ich das Album mehrfach gehört und bin jedes Mal erneut begeistert und beglückt zugleich über diese für mich neue musikalische Entdeckung, die nicht nur das „musikalische“, sondern auch das „lyrische Ich“ anzusprechen vermag
Auf „Zwischen den Runden“ stellen sich Texte und Melodien trotzig und mit subkutaner Melancholie auf die Seite des Lebens, allen Widrigkeiten zum Trotz, die das Leben mit sich bringen kann. Die Songs erzählen Geschichten von der Liebe, von Herzschmerz, Trennung, Tod, von Fernweh und Sehnsucht. Es ist kaum zu fassen, wie wundervoll Kettcar in „Rettung“ davon erzählen, wie einer seiner Freundin nach dem nächtlichen Kneipenabsturz das Erbrochene aus dem Haar wischt und doch die Liebe nicht loslässt:
Es ist nicht das, was man empfindet
nicht nur das, was man fühlt
nicht, was man voller Sehnsucht sucht
Liebe ist das, was man tut
(Rettung / Kettcar. Zitiert nach: http://www.songtexte.com/songtext/kettcar/rettung-7b879e3c.html)
Das größtenteil akustische Album verfügt über tragende, langsame Stücke ebenso wie über rockige Nummern bis hin zur kritschen Kulturvermarktungskritik „Schrilles buntes Hamburg“, mit dem Kettcar nochmal zeigen, dass sie immer noch kapitlaismuskritisch sein können und den Fokus auf die Totalvermarktung von Kultur und sogenannte Leuchtturmprojekte setzt:
Wir hatten vier, fünf gute Jahre
in zukünftiger bester Lage,
der Malerfürst lässt leise wissen,
ab jetzt komm´ die Touristen.
Pioniere in Problemgebieten,
wo wir hinkommen, da steigen Mieten,
wir tun, als ob wir es nicht wüssten,
ab jetzt komm´ die Touristen.
In der Hafencity Abendsonne,
oft Kunstevents,
hier Perlenkettenpläne,
dort Nudeln mit Senf,
dann das rettende Ufer auf dem Schoß des Intendanten,
der Jägermeister-Roby
wir haben schon verstanden.
Es muss immer alles komplett verwertet werden,
was komplett verwertet werden kann.
(Schrilles buntes Hamburg / Kettcar. Zitiert nach: http://www.songtextemania.com/schrilles_buntes_hamburg_songtext_kettcar.html)
Die Arrangements werden gelegentlich von opulenten Streichern unterstützt wie im wunderbaren Liebenslied „Weil ich es niemals so oft sagen werde“, das vom Gedanken getragen wird, dass Worte niemals ausreichen, ein Gefühl zu beschreiben – und dafür wunderbare sprachliche und musikalische Bilder findet. „R.I.P“ oder „Der apokalyptische Reiter“ kommen beschwingt daher, geigenunterstützt und mit leichtem Klavier, zart gezupften Gitarren. Zu Tränen rührt einen der letzte Song „Zurück aus Ohlsdorf“, der den Tod eines guten Freundes besingt, den man aus den Augen verlor und jetzt ganz an den Tod.
Ein wunderbares Album, das mir über die weit offene Ohrschnittstelle direkt in den Bauch fuhr: bemerkenswert gute, zuweilen sehr lyrische Texte – wunderbar interpretiert von Marcus Wiebusch mit seiner heiser-rauhen Stimme – in Verbindung mit einer schön instrumentierten und arrangierten Musik, perfekten Gitarrenriffs von zart bis hart auf einem Album voll von melancholisch eingefärbtem Lebenstrotz, dass Independent-Pop durch die Verwendung von SDtreichern, Bläsern und Klavier geschickt mit jazzigen Elementen verbindet.
„Die Ausfahrt zum Haus meiner Eltern“ und „Im Taxi weinen“ waren auch meine Einstiegsdrogen. Ich finde, Kettcar hat nach den ersten zwei Scheiben nachgelassen, aber vielleicht hat man sich gewöhnt, war nur nicht mehr so überrascht. Ohlsdorf ist natürlich berührend, der von dir oben erwähnte Song „Rettung“ und von der Platte davor (Sylt) „Am Tisch“ Folgendes Video dazu unterstreicht die Stimmung des Song übrigens toll:
Und „Balu“ lieben wohl alle Frauen, einfach wunder-wunderschön! ♥
LG, Conny
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Hallo Conny,
in die anderen Alben habe ich inzwischen reingehört und bin wirklich beeindruckt, was mir da entgangen ist. „Die Wahrheit ist …“ und „Nacht“ gefallen mir auch sehr und überhaupt der kreative Umgang mit der deutschen Sprache neben dem Gehalt der Texte. Rezensionen folgen bestimmt noch, wenn ich wieder mehr Luft habe …
Herzlich grüsst
Jarg
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„Am Tisch“ – ja, das hat mir auch gefallen. Danke für den Link zu dem Video!!
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kettcar, meine seit nunmehr 8 jahren unangetastete lieblingsband. und zwischen den runden, ein geniestreich. von spatzen und tauben und dächern und händen kann ich übrigens auch sehr empfehlen, wenn man in der richtigen stimmung ist. und das live album fliegende bauten. für sylt braucht man eine weile um sich reinzuhören.
aber eigentlich ist jedes einzelne ihrer lieder ein kunstwerk.
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Kettcar war an mir komplett vorbeigegangen, trotzdem ich aus Hamburg komme und in Hamburg wohne. Die genannten Alben habe ich mir alle schon besorgt und bin schon sehr gespannt – zur Zeit komme ich allerdings „Zwischen den Runden“ nicht heraus 😉
Was mich beeindruckt, sind die ausgesprochen gute Texte, die sich der üblichen Plattheiten deutscher (oder englischer) Poptexte weitgehend entziehen und oft sehr poetische, tiefe Bilder schaffen.
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ja, deswegen liebe ich sie auch so sehr. zwischen den runden ist poetisch, aber doch direkt, im gegensatz zu den meisten ihrer alten dinge. bei den meisten ihrer anderen songs hat es oft lange gedauert, bis sich mir der sinn der einzelnen lieder erschlossen hat, dafür hatte dann jedes seine ganz spezielle bedeutung für mich. ich beneide dich dafür, dass du die ganze phase noch vor dir hast 🙂
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Schätze, ich fange mit den „Spatzen und Tauben …“ an. Die Ohrschnittstelle freut sich schon 😉
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guuuute wahl 🙂 und von den top songs balu, am tisch und im taxi weinen hast du ja schon gehört 🙂 letzteres war übrigens meine einstiegsdroge. gemeinsam mit die ausfahrt zum haus deiner eltern und balu. hachhh. live sind sie übrigens auch ganz wunderbar.
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Hallo Jarg!
Danke für die Erinnerung an diese tolle Band! Mein absoluter Favorit ist „Im Taxi weinen“, aber es lohnt sich auf jeden Fall, die anderen drei Alben anzuhören. Nun werde ich mir dieses für mich neue Album schnellstmöglich zulegen…
Viele Grüße,
June
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Hallo June!
Gern geschehen – und viel Spaß mit dem Album.
Ich bin gespannt auf die Kettcar-Musik, die ich noch nicht kenne. Ich werde berichten … 🙂
Einen schönen Maifeiertag wünscht Dir
Jarg
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Kettcar sind klasse. Als sie noch But Alive hießen und Punkmusik machten waren sie schon klasse. Mein Favoritenalbum ist „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ mit „Balu“ an der Spitze.
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„Von Spatzen und Tauben“ habe ich mir soeben ausgeliehen und bin sehr gespannt. Als But Alive sind sie mir noch völlig unbekannt – scheinen aber immer noch Kultstatus zu besitzen. Mal sehen … bzw. hören 😉
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Hi, Jarg, guten Morgen!
Danke für diese Besprechung, ich werde gleich heute abend reinhören!
…nur mein lyrisches highlight, das bleibt aber „Am Tisch“ (Sylt – 2008)…da kriegt mich keiner von weg.
Beste Grüße und einen schöne Woche
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Guten Tag Pottblümchen,
danke für deinen Kommentar und den Hinweis auf „Am Tisch“.
Zum Glück waren in der Bibliothek meines Vertrauens gerade alle anderen Kettcar-Alben entleihbar, so dass ich mir auch das von Dir empfohlene Stück in einem diese Woche geplanten furiosen Kettcar-Exzess auf die Ohren geben kann. Da muss doch einiges musikalisch an mir vorbeigegangen sein in den letzten Jahren (dafür kann ich manche Kinder-CD auswendig) … und das mir, als Hamburger! Unverzeihlich, aber wohl aufholbar.
Auch Dir eine schöne Woche und herzliche Grüsse von
Jarg
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ja, am tisch höre ich seit 4 jahren regelmäßig auf und ab 🙂
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