
Die 15jährige Daelyn wird von ihren Eltern rund um die Uhr behütet. Ihr Vater überwacht ihren Internetzugang, ihre Mutter fährt und bringt sie zur Schule, bestimmte Gegenstände sind ihr verboten und aus ihrem Zimmer entfernt worden. Doch Daelyn, die bereits mehrere Selbstmordversuche hinter sich hat und seit dem letzten stumm ist und eine Nackenschiene trägt, ist entschlossen: beim nächsten Versuch wird es klappen.
Daelyn, die in der Schule wegen ihres Übergewichtes gemobbt wurde und in einem zweifelhaften „Diätcamp“ weiter traumatisiert wurde, ist auch an ihrer gegenwärtigen Schule eine Außenseiterin. Ausserhalb der Schulzeit verbringt sie viel Zeit in Internetforen, die sich an Menschen richten, die Suizid begehen wollen. Als sie sich anonym auf der Internetseite „Durch-das-Licht.com“ anmeldet, beginnt ein mehrwöchiger Countdown bis zum „Tag der Vollendung“. Jeden Tag bietet die Webseite, auf der man auch Beiträge hinterlassen kann, strukturierte Hilfe auf dem weg zum Selbstmord an.
Die gebrochene Daelyn ist entschlossen, den einzelnen Schritten auf der Webseite zu folgen und ihrer Lebensmüdigkeit diesmal erfolgreich zu folgen. Dann erscheint Santana auf der Bildfläche – und für die abweisende, verschlossene Daelyn beginnt sich unmerklich etwas zu ändern, denn der krebskranke Teenager lässt nicht nach, um Daelyns Freundschaft zu werben.
Bis zur letzten Seite ist es in dieser bemerkenswerten, drastischen und dabei unglaublich dicht erzählten Geschichte nicht klar, wie sich Daelyn am Ende entscheidt. Juli Anne Peters gelingt ein berührender und erschütternder Einblick in die Seele eines jungen Menschen, der durch Mobbing und Gewalt zu einem Außenseiter wird und dabei seiner tiefen Verzweiflung und Einsamkeit nur durch einen drastischen letzten Schritt glaubt entkommen zu können.
Die Leistung der Autorin liegt dabei auf der ganz in der Innenschau aus der Sicht der Protagonistin erzählten Geschichte, die den Leser zwingt, die Welt mit den Augen von Daelyn zu sehen und sich mit ihren Gedanken und Ängsten auseinanderzusetzen. Wohltuenderweise verzichtet Peters auf die Moralisierungen oder wohlfeilen Lebensratschläge, die gerade bei amerikanischen Romanen nicht selten typisch sind. Sie lässt offen, wie Daelyn sich entscheidet, nachdem deutlich wird, dass der Freundschaftswille des schwer krebskranken Santana sie nicht unberührt lässt. Dadurch reflektiert der Leser am Ende nachhaltig über Daelyns Situation, ihre Motivationen und möglichen Entscheidungswege, aber auch über Suizid allgemein.
Die Hilflosigkeit der Eltern, ihr Versagen und das von schulischen und betreuenden Personen wird deutlich vor Augen geführt, ohne es per se zu verurteilen. Dennoch stellt man sich als Leser unwillkürlich nicht nur die Frage nach dem eigenen Verhalten in einer persönlichen lebensextremen Situation, sondern fragt sich auch, wie man selbst reagieren würde, wenn ein nahestehender Mensch sich aufgrund tiefer Verzweiflung das Leben nehmen wolle, woran man das erkennen könnte und wie man es verhindern könnte.
Der von Anja Herre in der Kosmos-Reihe „21. Century Thrill“ hervorragend ins Deutsche übertragene Roman überzeugt durch die unprätentiöse Dartstellung, Aufbau und Komposition der Geschichte und athmosphärische Dichtheit. Dabei ist der Roman trotz des düsteren Themas spannend zu lesen, auch wenn einem Daelyn und ihre Gedanken und Erfahrungen zuweilen schmerzhaft nah kommen. Unübersehbar ist auch die Aktualität dieser Geschichte, denn Kinder und Jugendliche in extremen Situationen denken auch heute nicht nur sehr konkret über Selbstmord nach, sondern finden im Internet perfiderweise auch noch Hilfestellung und Bestärkung durch entsprechende Foren. Eine aktuelle, tief berührende und bewegende Geschichte, die noch lange nachwirkt und zur Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema anregt.
Mir ist nicht ganz klar, für wen das Buch lesenswert ist: Eltern, Lehrer andere Erwachsene-o.k. Jugendliche, die allgemein gut akzeptiert sind- o.k. Aber was ist mit den Außenseiter- Kids? Ganz ehrlich, ich wüßte nicht, ob ich nicht “schlafende Hunde wecken” würde….
Nachdenkliche Grüße
LW
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Schwer zu sagen. Ich denke, es ist weniger für die Betroffenen, die Mobbing ausgesetzt sind und/oder sich mit Selbstmordgedanken quälen, geeignet. Wohl aber für die Menschen um sie herum, die vielleicht gar nicht wahrnehmen, wie sie sich verhalten oder wie sich jemand fühlt, der so ausgegrenzt wird.
Das mit den „schlafenden Hunden“ kann ich verstehen – und es ist ja schon beunruhigend genug, dass im Internet solche Anleitungen existieren und auch umgesetzt werden. Eine Rettungssanitäterin bei der Ersthelferschulung erzählte von solchen Fällen …
Es grüßt Dich
Jarg
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Hat dies auf über das lesen und schreiben rebloggt und kommentierte:
klingt nach einem gutem Buch mit einem wichtigen Thema
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Auf jeden Fall – leider ist das Thema immer wieder aktuell.
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Ja, leider ein sehr aktuelles Thema. Gerade was das Cybermobbing und die Folgen angeht. Junge Menschen haben es oft sehr schwer heute.
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Leider machen die Erwachsenen es ihnen allzuoft vor im alltäglichen Rattenrennen, bei dem jeder nach dem besten Platz sucht ohne Rücksicht auf Verluste, bei dem nur das Beste, Schönste, Größte gilt … und man gerne niedermacht, in Schubladen steckt, abstempelt.
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Zum Glück gibt es inzwischen viele Menschen die anders denken und wirken.
Empfehlung: Ich-linge, warum unsere Kinder keine Teamplayer sind.
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Ganz sicher. Danke für den Buchtipp.
Herzlich grüsst
Jarg
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