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Die unerträgliche Leichtigkeit des Einschlafens, gedehnte Hörzeit und der unendlich gekrümmte Raum im Regionalexpress: über eAudio-Hörbücher auf dem Smartphone


(Urheber: Etamme)

Eigentlich mag ich Hörbücher. Schon als Kind habe ich es geliebt, vorgelesen zu bekommen (und später vorzulesen) und gerne im Radio Geschichten gelauscht, die es im Rahmen des Kinderfunk oder – in fortgeschrittenen Jugendjahren, abends im Radio gab. Noch heute gibt es die Reihe „Am Morgen vorgelesen“ im NDR, die ich zu Schulzeiten nur geniessen konnte, wenn ich erkrankt und zuhause war: damit zählte sie neben Griesbrei und allgemeiner Umsorgtheit zu den unzweifelhaften Vorzügen des Krankseins.

Heute höre ich Hörbücher und auch Hörspiele leider selten. Am Tag fehlt mir naturgemäß die Zeit, zuhause sind „Drache Kokosnuss“ und andere Höbücher angesagt, unter denen es schöne – und manchmal weniger schön bis unerträgliche gibt. Abendlicher Genuß von Hörbüchern und Spielen kommt so gut wie nicht vor und beim Autofahren kann ich mich auf Erwachsenenhörbücher nur einlassen, wenn die Fahrt ein langer, ruhiger Fluß ist und bevorzuge daher zumeist Musik, die ich zuhause ebenfalls selten hören kann. Musik im Auto hat den unglaublichen Vorteil, dass sich beim Zuhören das Auto verwandelt. Bei „In Extremo“ zum Beispiel … aber ich schweife ab.

Bis vor wenigen Wochen hatte ich ja als jemand, der lange Zeit dem Mobiltelefon skeptisch gegenüberstand, noch einen „Knochen“, eines jener selten gewordenen Mobiltelefone mit Wählscheibe, Ausziehantenne und kleinem Zehn-Kilo-Koffer. Da der „Knochen“ Abnutzungserscheinungen zeigte und sich aufgrund beruflicher Entwicklungen, denen keine adäquate technisch Ausstattung zur Seite stand, eine gewisse Weiterentwicklung der täglich herumzuschleppenden technischen Ausrüstung angesagt war, stand der Erwerb eines jener allgegenwärtigen Wisch- und Wedelfetische namens Smartphone an, der vor wenigen Wochen vollzogen wurde. Praktischerweise hatte meine Frau auch bereits eines, was natürlich sofort ins Blickfeld der gelegentlich und sehr dosiert modernen Medien ausgesetzten Kinder geriet, was zu Folge hatte, dass mir der eine Zwilling flugs zeigen konnte, wie ich zu einer App komme, die auch schon auf dem anderen Smartphone war.

Praktischerweise gibt es in der hier im Rahmen der Artikel zum Lesen von eBooks mehrfach erwähnten Onleihe auch Hörbücher: einfach und unkompliziert lädt man sie herunter und zieht sie über die Synchronisation des Windows-Media-Player auf sein Smartphone. Da fand sich auch rasch etwas Passendes – und schnell auch die Zeit, es zu nutzen, war mein gerade mitgeschlepptes Buch doch ausgelesen, womit noch eine halbe Stunde Regionalexpresszeit zu füllen war.

Da saß ich nun und hörte – und nachdem ich einen Tag zuvor noch gelästert hatte über jene, die beim Hören von Hörbüchern einschlafen, fand ich mich jählings in der gleichen Lage wieder, krümmte sich der Hals in spontaner Muskelerschlaffung mit der Folge eines Richtung Brustbein sackenden Kinns, während sich zugleich das Zugabteil beschützend-wohlig um mich zu krümmen schien.
Nach einigen Minuten sanften Schaukelns bewegte sich der Kopf dann ruckartig im Aufwachen wieder nach oben. Tief im plötzlich schläfrigen Unterbewußtsein regte sich die Erkenntnis, möglicherweile einen entscheidenden Passus im Hörbuch verpasst zu haben, und kleinhirngesteuert fand der Daumen die entsprechende wischende Bewegung, um das Hörbuch um ein paar Minuten zurückzusetzen und mit dem Hören fortzufahren, um dann, an einer weiter fortgeschrittenen Stelle, erneut wegzusacken. Kurz: ich brauchte für das auf etwa 75 Minuten angelegte Hörbuch, verteilt über zwei Fahrten zu Arbeit, etwa 40% mehr Zeit und vermute, dass ich alles mitbekommen habe, da sich in der Großhirnrinde durchaus ein positives Stimmungsbild über das hier vorgestellende Hörbuch ergab.

Fazit: Hörbücher auf dem Smartphone sind eine feine Sache, können aber unerwarteterweise zumindest bei mir offenbar infolge der Kombination von sonorer Vorlesestimme und dem sanften Schaukeln im Penthouse des Regionalexpress zu einer gesteigerten Einschlafbereitschaft führen und einem dadurch verlängerten Hörbuchgenuss, ein sogenanntes Auditus interruptus . Gut, dass nicht der legendäre und von mir sehr geschätzte Hans Paetsch vorlas – ich hätte womöglich das erste Mal in meinem Leben das rechtzeitige Aussteigen aus dem Zug verpasst und mich Stunden später auf irgendeinem Abstellgleis in Sibiren wiedergefunden, weil der Zug während meines komatösen Schlafes nach Russland verschoben wurde.

Nun stellen sich natürlich wesentliche Fragen:
– Habe ich die wesentlichen Bestandteile des Hörbuchs im wachen oder im halbkomatösen Zustand wahrgenommen, ist der Raum innerhalb des Regionalexpress gekrümmt, das Hörbuch damit potentiell unendlich und somit auf meinem Sitzplatz mehr Zeit vergangen als in meiner Umgängetasche und wenn ja, liegt hier die Antwort auf die bohrende Frage nach dem Sinn des Lebens?
– Laufen deshalb so viele Leute vollverstöpselt, mit smarten Gadgets vor der Brust, mit Fingern darauf wischend und wedelnd durch die Gegend und halblaut vor sich hin redend, ohne Blick für die Umgebung, durch die sie laufen, und wie in Trance zumeist glücklich Hindernissen ausweichend?
– Hätte ich mich mittels einer auf das Unendliche verlängerten Abfolge von Einnicken und „Weiterwischen“ des Hörbuches der schrecklichen Vorstellung eines „Ewigen Lebens“ nähergebracht, vielleicht ergänzt um ein paar Weintrauben oder Jungfrauen oder Haselnussruten oder was auch immer, und hätte ich plötzlich die in den Schriften einer (vermutlich in ein paar hundert Jahren wie hunderte andere Religionen ausgestorbenen) Glaubensrichtung für recht Glaubende geforderten „Quasten […] an den Zipfeln [meiner] Kleider und blaue Schnüre [an den] Quasten der Zipfel“ [sinngemäß zitiert nach: 4.Mose 15.37 bis 15.39, zitiert nach „So komme ich in die Hölle“], wo doch Quasten und blaue Schnüre gar nicht zu meinem gelben Lieblings-T-Shirt passen?
– Ist der Zipfel der Urgrund des Seins und die blaue Schnur leitet uns dorthin zur großen Quaste?
– Oder ist die Antwort auf die Frage nach dem Sinn letztlich doch „42“? Ich denke schon!

Möge der Daumen mit Euch sein, denn siehe: MEIN ist der Wisch und das Wedeln!

6 Kommentare zu “Die unerträgliche Leichtigkeit des Einschlafens, gedehnte Hörzeit und der unendlich gekrümmte Raum im Regionalexpress: über eAudio-Hörbücher auf dem Smartphone

  1. also ich mag eigentlich keine Hörbücher, ich hab einige geschenkt bekommen, die sind noch nicht mal ausgespackt.
    ich mag wenn ich lese, richtige Bücher, ein Buch das man in der hand halten kann und sich seine eigenen Gedanken machen kann.
    Bei einem Hörbuch irritiert mich schon der Vorleser, auf den muss ich mich ja einlassen und das kann ich nicht. Egal wer liest.
    Ich lese lieber selbst, so kann ich besser fühlen was der Autor schreibt und kann mir auch die Personen vorstellen, bei einem Hörbuch werd ich zuviel abgelenkt.

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    • Deine Gedanken kann ich gut nachvollziehen. Ich bin eigentlich auch ein Selberleser – ob mit dem schön gestalteten Buch in der Hand (das ich weiterhin bevorzuge) oder aber (öfter mal unterwegs und durchaus gern) auf dem eBook-Reader oder seit Neuestem auf dem Smartphone.
      Aber ich ertappe mich dabei, dass ich es geniesse, wenn mir jemand vorliest und dabei an entsprechenden Hörgenuss (sei es aus dem Radio oder von den eigenen Eltern) aus längst vergangene Zeiten anknüpfe: einzige Bedingung ist für mich, dass erstklassig vorgelesen wird – und da gibt es erhebliche Unterschiede. So wie auch beim Hörspiel, das ich durchaus schätze oder bei Kinder-CDs. Bei Letztgenannten ist die Zahl der schlecht gemachten Werke Legion – leider. Aber es finden sich doch immer wieder Perlen. Zum intensiven Hörbuchhörer werde ich aber wahrscheinlich auf absehbare Zeit nicht. Oder doch? Wer weiß … 😉

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  2. Mein lieber Jarg,
    bei uns ist meine deutlich bessere Hälfte die autofahrende Hörbuchhörerin, was zuweilen dazu führt, dass ich mit den qualitativ zufriedenstellenden Nachlieferungen, die ständig eingefordert werden (DU bist doch vom Fach, haha) nicht nachkomme (sie fährt viel und hört IMMER). Ich persönlich selber bin ich da mehr der Imautomusikhörende und die Bücher lieber Inderhandhaltendlesende. Unsere Canidin liest an ganz anderen Stellen aus ganz anderen Materialien und ist Musik gegenüber eher gleichgültig (halb taub) und mit Büchern haben wir es noch nicht probiert.
    Aber was ich sagen wollte: Deine Bemerkung vom sich beim Musik hören verwandelnden Auto kann ich nur bestätigen, wobei ich, mich in den Sümpfen von Louisiana wähnend gerne lauthals mitsinge oder auch gelegentlich einen kleinen Blues mit meiner im Auto immer griffbereiten Harp engagiert verfeinere. So habe ich schon häufig an mir vorbeifahrende Menschen (ich hasse das Rasen an sich und im Besonderen) zu den interessantesten Gesichtsausdrücken verholfen und bin regelmässig gradezu unfroh, schon irgendwo angekommen zu sein. Der Weg ist da quasi das Ziel…
    Eine Sache aus deinem sehr vergnüglichen zu lesenden Post treibt mich noch um: Was ist nun der Sinn des Lebens? Wenn Du mich fragst gibt es 4.Mose 15.42 nicht, siehe
    http://bibel-online.net/buch/dual/elberfelder_1905/4_mose/15/luther_1912_apokr/4_mose/15/#1
    oder ist anch ’41‘ „Ich bin der HERR, euer Gott, der euch aus Ägyptenland geführt hat, daß ich euer Gott wäre, ich, der HERR, euer Gott.“ auch hier eher der Weg das Ziel? Und alles im Konjunktiv. Fragen über Fragen. Am Ende glaube ich ja, dass 42 irgendwo im Nirwana verortet ist. Nicht grübeln, leben also.
    Gedenket der Zipfel und Quasten an den Schnüren aus blauem Purpur

    Salve, Kai

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    • Lieber Kai,

      die Hörbücherversorgung muss ich zum Glück nur zum Teil für die Kinder gewährleisten, da selbige bei meiner besseren Hälfte lediglich als nicht benötigtes Schlafmittel betrachtet werden. Dafür sollen es dann Krimis sein – und viele Kinderbücher, was letztlich eine rechte, aber gerne in Kauf genommene Schlepperei geworden ist, da insbesondere im letztgenannten Bereich hyänenartiges Stürzen auf die solcherart beigebrachten Bücherberge immer wieder ein schöner Anblick ist.

      Musik im Auto ist bei uns nicht leicht, da mein Musikgeschmack nicht immer geteilt wird, nicht selten stattdessen Ruhe herrscht, zumeist aber nach Kinderhörbüchern verlangt wird oder aber nach dem permanenten Repeat ein und desselben Stückes, dass drei von vier Vierteln der Familie ausnehmend gut gefällt und vom Rest geduldet wird (bei dem heute besprochenen Bonamassa-Album war es „Dust Bowl“).
      Zum Glück gibt es da noch die meist dienstlich bedingten Autofahrten, die ich allein antrete: da nutze ich die gelegenheit exzessiv, laut und manchmal mitsingend, während ich gelassen die raser links vorbeiziehen lasse und nur Gelegentlich die heckansicht des LKWs vor mir bei günstiger Gelegenheit gegen eine andere austausche. Dann – und nur dann – ist diese erstaunliche Verwandlung unseres japanischen Raumwunders in ein Gefährt irgendwo zwischen VW T2 und Buick Roadmaster Convertible zu beobachten. Von der Landschaft ganz zu schweigen, das kennst Du ja auch 😉

      Zur Bibelstelle: die gibt es tatsächlich und ich entdeckte sie in einem amüsanten Reiseführer zur Hölle, der hier demnächst vorgestellt wird: vermutlich habe ich falsch zitiert, aber Du findest Sie in verschiedenen Varianten, u.a. auf http://bibel-online.net/buch/luther_1912/5_mose/22/#12 oder (besser) unter http://www.die-bibel.de/online-bibeln/luther-bibel-1984/bibeltext/bibelstelle/4%20Mose%2015,38/#iv:

      „Rede mit den Israeliten und sprich zu ihnen, dass sie und ihre Nachkommen sich Quasten machen an den Zipfeln ihrer Kleider und blaue Schnüre an die Quasten der Zipfel tun“. Wirklich ein wenig abstrus, die blauschnürigen Zipfelquasten, aber so sind sie ja gern, die Götter, ein wenig trotzig-kindlich.

      Ein befreundeter Mathematiker meinte, dass Adams sich eindeutig verrechnet hat und es sei in Wirklichkeit 42,0004546 der Sinn des Lebens, aber das wäre vielleicht spitzfindig und wer fragt sich schon, was sich Brötchen so morgens denken, bevor wir herzhaft in sie hineinbeissen („Gibt es ein Leben vor dem Teig?“ ; „Du bist der Herr, mein Kneter?“ ; „Du sollst als Croissant nicht begehren deines Nächsten Rosine?“) und ob mißratende Brötchen in die Vorhölle der Semmelbröselpackung kommen. All diese ungeklärten Fragen des Seins, es ist zum Verzweifeln und deshalb steht mir der Sinn jetzt eindeutig nach Zitroneneis. Ohne Quaste. Aber mit blauer Waffel. Oder so ähnlich.

      Herzliche Sommerabendgrüsse von
      Jarg

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