Ganz nah ran, hieß die Devise. Manchem ist das zu nah. Nichts wird hier ‚überhöht‘, nirgends taucht eine ‚Metaebene‘ auf, nicht eine Zeile Literatur. Nur Geschichten, die ich erlebt habe, bescheidener formuliert: die mir widerfuhren. Bin eben nur Reporter. Bin sklavisch abhängig von der Realität, von dem, was mir die Welt an Geschenken und Zumutungen überlässt. (S. S. 11)
Wer Altmanns autobiografisches Buch „Das Scheissleben meines Vaters, das Scheissleben meiner Mutter und meine eigene Scheissjugend„ gelesen hat, wird fassungslos und fasziniert zugleich gewesen sein, wie der Autor nach der beschriebenen, er- und durchlittenen Jugend spät, doch nachhaltig einen eigenen Weg ins Leben findet und die rettung – das Schreiben – für ihn zum Lebensinhalt wird. Wer Altmann schon vorher kannte und schätzte, hat nach dem Buch zumindest ansatzweise begriffen, warum Altmann schreibt, was ihn antreibt und zu einem der besten deutschsprachigen Reiseschriftsteller gemacht hat.
Mit „Dies beschissen schöne Leben“ legt Altmann eine Sammlung von Geschichten und Reportagen vor (von denen ein Teil bereits 2005 unter dem Titel „Getrieben“ erschien und für diese Sammlung deutlich überarbeitet wurde), die in gewisser Hinsicht auf seinen oben erwähnten autobiografischen Aufzeichnungen aufbauen. Altmann schont hier weder sich noch andere und schon gar nicht den Leser, wenn er über eigene und fremde Unzulänglichkeiten schreibt, über seinen Hang zum Diebstahl, über Drogenerfahrungen, sexuelle Eskapaden, verzweifelte Liebe. Altman geht dabei nah ran ans Leben, berichtet unverstellt, schonungslos und mit einer Offenheit, die den oberflächlichen, empfindsamen Leser verschrecken könnte, wenn sie nicht dieser Neugier auf das Leben geschuldet wäre in all seinen Facetten, der Neugier, die Altmann antreibt und in nicht selten in Extreme führt.
Da sind die Exkursionen mit einem befreundeten, später bei einer ähnlichen Tour ermordeten Fotografen in die nicht nur für Weisse brutal gefährlichen Townships Südafrikas sind; wir lesen von der ersten und einzigen homophilen Erfahrung seines Lebens, die ihm deutlich macht, wie sehr er Frauen liebt, von bizarren, letztlich nur mit Geld aus der Welt zu schaffenden Mißverständnissen in Seoul, seiner manischen Bücherliebe, die ihn in jüngeren Jahren zu laufenden Diebstählen, einer Liebesaffäre mit einer ahnungslosen Buchhändlerin und schliesslich zu heilsamen Rückenschmerzen brachte. Wunderbar böse zieht er über Paulo Coelho her und andere pseudoliterarische Esoteriapostel, um dann wieder ohne Gefühlsduselei, doch mit großer Empathie, Sensibilität und bar jeglicher Selbstbeweihräucherung über seine Erfahrungen als Helfer in einem thailändischen Aids-Hospiz zu berichten. Dazu erfahren wir eine Menge über seine Motivation, Reporter zu werden, seine dezidierten Ansicht vom guten Schreiben und seiner unbändigen Lebensneugier.
Altmann nimmt einen mit auf eine Tour de Force durch das Leben und seine bizarren Volten, überraschenden Wendungen und banalen Sackgassen und reisst den Leser dabei mit seinem Humor, seiner Neugier, seiner schonungslosen Ehrlichkeit und seiner sprachlichen Genauigkeit derart mit, dass man das Buch keine Sekunde aus der Hand legen, es bis zum Ende auskosten mag. Und nur wenige können so hinreissend darüber schreiben wie Andreas Altmann, so sehr mit ihren Zeilen dazu auffordern, die Augen aufzumachen in diesem einen, einzigen Leben, das wir haben, und es bis zur Neige auszukosten.
Hat dies auf Kunstvollaltern – Mundwerkerin rebloggt.
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Ich hab letzte Woche seine „Gebrauchsanweisung für die Welt“ gelesen. Naja, gut zu lesen, einfach geschrieben, unterhaltsam. Vielleicht aber der falsche Titel.
Evtl. schreib ich noch was dazu (bei mir), aber erst nach „Into the Wild“, welches auf meinem Nachttisch der Welt-Anleitung folgt und doch aus meiner Sicht verbindende Elemente hat.
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Ich fand den Titel mit der Gebrauchsanweisung gar nicht so schlecht – aber bei Altmann bin ich sicher auf einem Auge blind, weil ich ihn so gerne lese.
„Into the wild“ ist ein auf seine Art wundervolles, wenn auch trauriges, bewegendes Buch. Ich habe es kurz nach der Erstveröffentlichung auf Deutsch gelesen und dann Jahre später nochmal, dann mit einem etwas anderen Fokus. Es war jedes Mal ein Lektüreerlebnis.
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Die Buchtitel folgen wohl der Verlegerweisheit: „Shit sells“, oder wie hieß das noch…
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In dem Fall vieleicht schon ein wenig. Allerdings verbergen sich Perlen darin für den, der über die „Sch…“ hinwegzusehen vermag 😉
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Ich habe den Autor mal in einer Talkshow gesehen. Schon erstaunlich, dieser Mensch. Danke für die Erinnerung.
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Gern geschehen. Altmann ist auf jeden Fall ein beeindruckender Mensch – und die Lektüre wert.
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