Clemens ist Fotograf aus Leidenschaft und hat diese Passion bereits als Kind für sich entdeckt: stets sucht er Aufnahmen zu machen, die mehr zeigen als das eigentliche Motiv, den eigentlichen Moment. An Bord eines Forschungsschiffes, das mit einem jungen Forscherteam in der Barentssee unterwegs ist, freundet er sich mit dem wortkargen John an, der über Belugawale forscht. Die Enge an Bord, Schlafmangel, die Kälte und zwischenmenschliche Probleme führen nicht selten zu Reibereien – und die Aussicht, das Expeditionsziel aufgrund zufrierender See und eines unangekündigten Manövers der russischen Marine nicht zu erreichen, macht alles nicht einfacher.
Als John über Bord geht und in den eisigen Wassern stirbt, fotografiert der dicht daneben stehende Clemens diese dramatischen Augenblicke. Sein Leben verändert sich dadurch für immer …
In der Rückschau erzählt „Durch den frühen Morgennebel“ die Vorgeschichte dieses einen dramatischen Augenblickes. Szenen an Bord des Schiffes wechseln sich ab mit der Rückblende auf Johns Leben vor der Expedition, das durch ein traumatisches Erlebnis in Zusammenhang mit einer Liebesgeschichte in Berlin gekennzeichnet war.
Manuel Niedermeier setzt den Fokus auf Clemens, John und auf Laura, die in Johns Leben eine schicksalhafte Rolle gespielt hat. Dabei erzeugt er mit einer manchmal verknappten, ausgefeilten Sprache eine ausgesprochen dichte Atmosphäre: von der ersten Zeile an sieht sich der Leser als stummer Zeuge an Bord des Schiffes versetzt, bis er schliesslich nach und nach mehr aus der Innenansicht der Protagonisten erfährt und Johns dramatische Vorgeschichte ab der Mitte des Buches zusehends mehr Raum und Intensität gewinnt.
„Durch frühen Morgennebel“ bedient sich dabei durchaus mancher Elemente des klassischen Abenteuerromans, reicht aber weit über ihn hinaus: anders als im klassischen Genre fokussiert die Geschichte hier nicht auf einen Helden, der aus dem Alltag ins Abenteuer aufbricht und am Ende sich oder die Welt rettet, sondern lässt John als traumatisierten, melancholischen Menschen in die Wildnis aufbrechen, dessen vormals heile Welt bereits zerstört wurde, bevor er ins Abenteuer aufbrach. Clemens, der Johns Beklemmung spürt, wird dabei zu einer Art katalytischem Begleiter, ohne Johns Sprachlosigkeit jemals ganz überwinden zu können – und zerbricht als Zeuge von dessen Tod am Ende beinahe selbst.
Niedermeier ist ein beeindruckendes Romandebüt gelungen, das man keine Sekunde aus der Hand legen mag: seine Sprache, der geschickte Spannungsaufbau, die atmosphärische Dichte und die empathische Charakterisierung seiner Protagonisten ziehen einen schnell in den Bann. Ein ausgesprochen intensives Leseerlebnis.
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Danke für das Rebloggen – ja, das stimmt, es kann so unterschiedlcih sein. Und manchmal findet man in hochgelobte Bücher gar nicht hinein oder liest sie später nocheinmal und wundert sich, warum man sie einmal gut oder schlecht fand. Was wäre Bücherleidenschaft ohne solche Erlebnisse und den Austausch darüber?!
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Mich hat der Roman im Buchladen sehr angesprochen, also ist er auf meinem Sofa gelandet. Der besondere Blick des Fotografen und die Schuldtehmatik fand ich sehr ansprechend. Und dann habe ich zu lesen begonnen und bin gleich zu Beginn am Berliner Nachtleben gescheitert. Vielleicht sollte ich es doch noch einmal versuchen…?
Viele Grüße, Claudia
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Das kann sich lohnen. Aber ich kenne das: manchmal packt es einen einfach nicht …
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verflixt , dieser blog ist Gift für den Sub. Danke für ein weiteres Buchschätzchen, auch wenn es noch warten muss 😉
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Gern geschehen! Und viel Spaß, wenn das Buch eines Tages ganz oben auf dem Stapel liegt!
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cool, woher weißt Du von meinem geplanten Reiseziel für 2016?
Alaska-Aleuten-Kamtschatka
Das Buch werde ich mir wohl kaufen und habe die Rezension nicht bis zum Ende gelesen.
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Tjaja, Jarg weiß, was reisende Blogger wünschen 😉 . In diesem Sinne wünsche ich Dir eine schöne Lektüre!!
Jarg
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Moin, Jarg! Schon das Buchcover zieht mich magisch an. Nach deiner tollen Besprechung habe ich den Wunsch, jetzt sofort mit der Lektüre des Buchs zu beginnen. Zumindest werde ich es jetzt sofort bestellen. 😉 Danke für den Tipp!
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Gern geschehen, liebe Maren. Ich mochte es nicht mehr aus der Hand legen … und wünsche Dir eine ebenso intensive Lektüre!
Herzlich grüsst
Jarg
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