Manche Dinge entfalten wohl erst in der Rückschau ihren wahren Glanz: denkt man ans Reisen, dürften die letzten zwanzig bis dreissig Jahre der 20. Jahrhunderts gerade für den nicht an Pauschalreisetourismus interessierten Weltenbummler eine glanzvolle Zeit gewesen sein. Doch das scheint vorbei zu sein, obwohl Reisen im Zeitalter der Online-Buchung, der weltweiten Hotel- und Ferienwohnungsportale und billiger Flüge vielleicht noch nie so einfach war: Terrorismus und Armut scheinen sich ebenso zu globalisieren wie der Austausch von Waren und Dienstleistungen
Die deutsch-schweizerische Autorin Sibylle Berg, veröffentlicht hier eine Reihe von bis in die späten 1990er Jahre zurückreichenden Reisereportagen und -glossen, die sie um kurze aktuelle Informationen und Nachrichten aus den besuchten Orten ergänzt. So zieht sie Bilanz, versinkt mit ihrem Buch „Wunderbare Jahre“ in einer überaus melancholischen und zugleich respektlosen Mischung aus Rückschau, Erinnerung und der Gegenwart mit ihren Zumutungen. Dabei setzt sie das Fernweh und die Lust an der Fremde, die die junge Reisende prägten, in krassen Gegensatz zu unserer Zeit, in der der Massentourismus nahezu jeden Winkel des Globus erobert hat und der Zauber manchen Ortes – mal durch den Ort selbst, mal durch das Alter, das man erreicht hat – ein anderer ist, sofern er sich überhaupt noch entdecken lässt.
Sie reist nach Tel Aviv und ist irritiert über die Böller auf der Strasse, bis sie realisiert, dass es einen Anschlag gibt. Sie besucht das Kosovo während des Kosovo-Krieges, zerrissen und von Krieg und Flucht geprägt, und zieht Parallelen zu den Flüchtlingsströmen des frühen 21. Jahrhunderts. Eine Fahrt mit dem Kreuzfahrtschiff voller Menschen, die sich „in diesem dunklen Monsterkasten voller Bars, Casinos, Tanzvergnügen verlieren, befremdet sie ebenso wie eine Reise im Orientexpress unter lauter wohlhabenden, angeberischen Menschen, die am Ende mehr Augen für sich zu haben scheinen als für das Land, durch das sie reisen.
Manche ihrer Berichte gleichen klassischen Reisereportagen, andere wiederum sind Reflexionen vom fremden, als Sehnsuchtsziel besetzten Ort, der sich als Sackgasse entpuppt. Und doch: Berg, immer noch empfindsam für das Andere, das Fremde, doch älter geworden, Mitte fünfzig bereits auch sie und voller Erinnerungen an vergangene, junge Jahre, als noch so viel Zukunft möglich schien, entdeckt immer wieder und oft an unerwarteter Stelle auch den Zauber wieder bei aller Enttäuschung, allem Nichterkennen und all der Wut in Anbetracht all der Dinge, die sie sieht. Entstanden ist so ein Reisebuch der etwas anderen Art, das schön und klug ist, weil es wahr ist, weil hier eine hinschaut und nicht wegsieht und so in der Lage ist, zugleich kritisch, mit beissendem Spott und doch empfindsam und wachen Blickes zu berichten von Orten, an denen man vielleicht nicht sein möchte, an denen sich aber die Zumutung, die der Mensch sich selber ist, oft so stark in Erscheinung tritt, dass es schmerzt.
Ein sprachlich überzeugendes, weises, unendlich trauriges und mit spöttischer Wut gefärbtes Buch, das ebenso tief berührt wie es zu unterhalten vermag.
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Liegt bei mir noch angelesen auf dem SuB, obwohl ich die Autorin sehr schätze, es ist wirklich sehr deprimierend
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Ja, das ist es. Man sollte es in der richtigen, einigermaßen guten Stimmung beginnen. Sonst ist man geneigt, nach der Lektüre das Fahrrad mit Vollkaracho in den großen Aufzug des alten Elbtunnels zu steuern. Bei geschlossenem Tor.
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Yepp, so ging es mir, wobei ich das Motorrad bevorzugen würde. Ist sicherer 😉
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Du kennst mein Fahrrad nicht 😉
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