Normalerweise beschreiben Erdkundebücher die Vielfalt der Welt und ihrer Landschaftsformen, ihrer Länder und der Menschen, die in ihnen leben. Den Fokus setzt dabei der Mensch: es ist sein Blick, der schaut, wertet, interpretiert, Namen gibt. Es ist der Mensch, der erzählt und erklärt.
Nautilus Traum kehrt dies um: die Menschen sind verschwunden, die Welt von Wasser überschwemmt und alles, was einst Zivilisation ausmachte, liegt unter der Oberfläche eines endlosen Meeres. Durch die Städte, vorbei an Leuchttürmen, Denkmäler, Wolkenkratzern, Brücken und Autobahnen schwimmen Meerestiere, Wale und Delphine, Nautiloiden, Muscheln, Quallen, Haie, Kraken und Schwertfische. Der Tower von London, die Freiheitsstatue, Michelangelos David oder das Chrysler Building sind die Kulisse, vor denen das Leben der Wassertiere stattfindet.
Ihre Gedanken, ihre Gespräche streifen immer wieder jene, die hier einst lebten, und reflektierten das Verhältnis zwischen Mensch und Tier. So entsteht vor den Augen des Lesers ein Bild des Menschsein aus der Distanz, wahrgenommen aus der spekulativen Perspektive der Tiere, die die von den Menschen hinterlassene Welt durchstreifen, sich vage erinnern an schöne und schreckliche Momente im Verhältnis zwischen Mensch und Tier, die sich wundern über die Dinge, die Menschen hinterlassen haben.
David Almond und dem Illustrator Dieter Wiesmüller ist ein wunderschönes Buch gelungen, das mit beeindruckenden Bilder und unterschiedlich komponierten, aber immer atmosphärisch dichten Texten eine Welt ohne uns zeigt, in der andere Wesen betrachten, was übrig ist und die Interpretation der Welt nicht mehr Sache des Menschen ist. Ein philosophisches, melancholisches Gesamtkunstwerk, das abstrakte Gedanken durch eindringliche Bilder und Worte auf überaus sinnliche Weise vermittelt. Zugleich ist es ein spekulativer Blick auf die Welt aus den Augen der anderen Tiere, verbunden mit der Frage, wer die Welt erzählt, wenn das Tier Mensch fort ist.
Ein magisches Buch – wie ein bizarrer, schöner und zugleich trauriger Traum. Für kleine und grosse Menschen ab 9 Jahren.
Hört sich spannend an – hoffentlich nicht zu moralisierend??
Liebe Grüße an den ultimativen literarischen Fahrrad-Experten 🙂
LikeGefällt 1 Person
Nein, überhaupt nicht moralisierend. Da schwingt eher eine sanfte Traurigkeit mit …
Liebe Grüße zurück vom derzeitigen Velorigamiker Jarg
LikeGefällt 1 Person