Deshalb gilt für die etablierten Parteien: Nehmt den Rechten die Themen weg, setzt eigene. […] Und sagt ruhig mal, dass diese Gesellschaft zwar nicht perfekt, aber verdammt gut ist. Sagt, was ihr daran verteidigen wollt. (S. 69)
Harald Welzer, der Direktor von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit und Mitgründer der Initiative „Die Offene Gesellschaft“. Der streitbare Soziologe legt mit „Wir sind die Mehrheit“ ein überaus zeitgemäßes, Buch vor, das in einer Zeit, in der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten wie Trum, Orban oder die jüngst in den Bundestag eingezogene AfD Morgenluft wittern und drohen, die nötigen gesellschaftlichen Diskussions- und Veränderungsprozesse sowie etablierte Mechanismen der Demokratie mit ihren Provokationen und Lügen zu überdecken und zu verhindern.
Auf gut 125 Seiten legt er eine knappe, gehaltvolle und dabei überaus spannende Analyse der gegenwärtigen Gefahren für die offene Gesellschaft vor, macht deutlich, wie Rechtspopulisten sich die in Zeiten des Internets leicht zu steuernde mediale Aufmerksamkeit zunutze machen, um beachtet zu werden. Zugleich zeigt er auch, wie reflexartig Medien und Politik auf die Provokationen, die inszenierte Opferrolle der Rechten reagieren, wie die Politik schleichend und in der irrigen Annahme, die postulierten, künstlich aufgeheizten Ängste einer Minderheit ernst nehmen zu müssen, selber Positionen und Werte der offenen Gesellschaft verlässt, nach rechts rückt, um Wahlen zu gewinnen: alles nur, weil der kleine weiße Mann ja so benachteiligt ist. Aktuell konnte man das ja im Bundestagswahlkampf sehr schön an der CSU und Herrn Seehofer beobachten, der jetzt trotz des katastrophalen Wahlergebnisses der Christsozialen in Bayern meint, weiter nach rechts rücken zu müssen – und sich dabei von Populisten vor sich hertreiben liess, die nichts anderes wollen, als die Errungenschaften an gesellschaftlicher Freiheit der letzten 72 Jahre zu zerstören.
Welzer legt überzeugend dar, warum solche Reaktionen falsch sind und man auf die Provokationen der Rechten nicht eingehen, ihnen keine Plattform bieten darf. Sein Anfang des Jahres erschienenes Buch geht dabei auf das dominierende Thema des Wahlkampfes, die Flüchtlingskrise ein und analysiert treffend, dass hier ein Problem in typischer populistischer Weise mehr inszeniert wurde als dass es tatsächlich vorhanden ist. Dem setzt er entgegen die nüchterne Analyse, die Suche nach den wahren Ursachen (etwa dem neoliberalen Einfluss auf Politik und Wirtschaft) und streicht zugleich heraus, dass es ein schwerer Fehler ist, die Motive der Menschen, die rechte Parteien wählen, verstehen zu wollen und sich von Populisten die Themen vorgeben zu lassen: stattdessen muss man die demokratische Mehrheit im Land und die dahinterstehende offene Gesellschaft verteidigen und ihren Erhalt in den Fokus stellen, denn
Die Weimarer Republik ist nicht gescheitert, weil die Demokratie zu viele Feinde hatte, sondern zu wenig Freunde. (S. 67)
Damit ist das Buch zum einen ein Appell an die demokratischen Kräfte, wach zu sein und selbst Themen zu setzen, sowie an den Bürger, sich offen gegen alles zu stellen, was unsere Demokratie, unsere Freiheit bedroht, zum anderen aber auch ein Aufruf zur Gelassenheit, sofern wir uns von den Demagogen nicht treiben lassen, unsere Werte verteidigen: denn wir sind die Mehrheit. In diesem Jahr des Umbruchs und der drohenden Gefahren aus politisch extremen Kreisen ein überaus wichtiges Buch, dass Mut macht zum Engagement für unsere Gesellschaft, unser Land, in dem es sich noch nie so frei und sicher leben liess wie gerade jetzt. Ein eindringlicher, gut fundierter Appell zum Handeln, den ich jedem empfehle, den die gegenwärtige Bedrohung unserer Gesellschaft durch demagogische, rückwärts gewandte Freiheitsfeinde bedrückt und beschäftigt.
Ich kann das Buch auch nur empfehlen und finde es gut, dass du es hier besprochen hast.
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Danke. War mir ein Bedürfnis. Sollten auch jene lesen, die jetzt in CDU, CSU und SPD noch weiter nach rechts rutschen.
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Das Buch macht auf jeden Fall Mut, nicht alleine zu sein. Ich glaube die Dokus „Tomorrow“ und „Everyday Rebellion“ wären sicher auch etwas für dich (falls du sie nicht schon kennst).
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Ah, danke: die kenne ich noch nicht. Da muss ich mal in der Bibliothek meines Vertrauens nach forschen.
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