Psychopathisches Verhalten wird gewöhnlich eher mit Männern verbunden: in der Realität dominieren im öffentlichen Bewußtsein männliche Täter und auch die Fiktion in Form von Literatur oder Film stellt überwiegend Männer in den Fokus, wenn es um psychopathische Täter geht. Die Kriminalpsychologin Lydia Benecke widmet sich in ihrem aktuellen Buch Fällen von weiblicher Psychopathie und entlarvt das Klischee vom männlichen Psychopathen: psychopathische Frauen manipulieren, verletzten und töten genauso perfide wie ihre männlichen Geschlechtsgenossen und machen sich dabei auch noch gängige Klischees von Frauen als dem friedlichen, verzeihenden, leidenden und duldenden Geschlecht zunutze. Ihre Taten, die sich meist gegen die eigene Familie und nicht selten auf die eigenen Kinder richten, sind oft ausgesprochen skrupellos, effektiv, grausam und bleiben zudem länger unentdeckt.
Anhand zahlreicher Fallgeschichten beleuchtet Benecke die Besonderheiten weiblicher Psychopathie, lotet die Grenzbereiche zu anderen Persönlichkeitsstörungen aus und zeigt dabei anschaulich und auch für Laien verständlich den aktuellen Wissensstand zum Thema. Ihre Beispiele sind ausgesprochen erschreckend und sie erspart sensibleren Gemütern zum Glück manches Detail, dass sich aber problemlos in online verfügbaren Extra-Kapiteln nachlesen lässt. Allen Fällen gemein und auffallend ist, dass die Täterinnen massiv durch ihre Kindheit geprägt wurden: Vergewaltigung durch Familienangehörige, massive körperliche Züchtigung und Eltern, die emotional nicht erreichbar sind und ihren Kindern zu verstehen geben, dass sie nicht gewollt sind oder nicht ihren Erwartungen entsprechen, scheinen bei derart massiven Persönlichkeitsstörungen stets zur Vorgeschichte zu gehören.
Benecke relativiert dabei nicht: sie stellt sämtliche Fälle schonungslos dar und analysiert die zugrundeliegenden psychologischen Mechanismen, macht aber auch deutlich, wie sichtig das Wissen um die Vorgeschichte der Täterinnen ist: nur wenn man weiß, was Menschen zur Tat treibt, kann man präventiv tätig werden. Das Ausmaß der geschilderten Gewalt ist dabei manches Mal schwer erträglich im Wissen, dass es sich um reale Fälle handelt. Neben dem Mord an den eigenen Kindern (zum Teil mit Hilfe der Geschwister) tritt dabei am Ende des Buches auch das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom in den Fokus, bei dem Krankheiten besonders der eigenen Kinder herbeifantasiert oder gar vorsätzlich und zuweilen mit Todesfolge herbeigeführt werden, um eine medizinische Behandlung zu erzwingen und selbst in die Rolle der sich kümmernden und aufopfernden Angehörigen zu schlüpfen. Perfide ist auch, wie lange es aufgrund der manipulativen, auf Täuschungen setzenden und meist erfolgreichen Verhaltensweisen der Täterinnen dauern kann, bis ihr psychopathisches Muster erkannt wird und ihr Verhalten unterbunden werden kann.
Lydia Benecke ist ein ausgesprochen eindrucksvolles, gut verständliches Buch über das Phänomen weiblicher Psychopathie gelungen, das anhand seiner zuweilen drastischen Fallbeispiele einen hervorragenden Einblick in die Seele der Täterinnen gibt und die ihrem Verhalten innewohnende eigene Logik vor dem Hinblick der verschiedenen beteiligten Persönlichkeitsstörungen gut und schlüssig zu erklären vermag.
Sehr informativ. Hab vielen lieben Dank!
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Gern geschehen. Sonnige Grüße von Jarg
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