Was man zunächst für einen Krimi halten mag, entpuppt sich bei der Lektüre als bemerkenswerter, trauriger und fesselnder Roman über Einsamkeit und Fremdheit im Konsumzeitalter.
Die Geschichte beginnt 1984: ganz im Zentrum steht hier die Welt von Kate, einem Mädchen, das Vater und Mutter verloren hat, bei ihrer Oma aufwächst und ganz im Detektivspiel aufgeht. Vor allem das riesige Einkaufszentrum Green Oaks wird zum Zentrum ihrer Aktivitäten, bei denen sie zusammen mit ihrem Stoffaffen Menschen genauestens beobachtet, verfolgt und sich dabei Notizen macht auf der Suche nach einem möglichen Verbrechen. Schnitt.
Der Roman wechselt in das Jahr 2003. Aus Green Oaks ist ein riesiges Einkaufsparadies geworden. Kurt, der Wachmann, der seine Freundin verloren hat und mit seiner Arbeit nicht eben glücklich ist, sieht auf einem Monitor nachts ein Mädchen in den des Zentrums. Lisa, Managerin in einem Plattenladen, die ihren Job hasst und ihren Freund nicht liebt, findet auf dem Weg durch die Gänge einen Stoffaffen. Beide kommen ins Gespräch. Im Laufe des zweiten Teils enthüllen sich die Lebensverläufe beider von neugierigen Kindern zu unglücklichen Erwachsenen, die sich in den eigenen Lebenslügen und den ungelebten Träumen eingerichtet haben. Die 1984 verschwundene Kate bleibt im zweiten Teil auf düstere Weise präsent, bis sich die Geschichte an Fahrt aufnimmt und sich der tragischen Auflösung und gleichzeitig einem überraschenden versöhnlichen Ende nähert.
Catherine O’Flynn ist mit ihrem Debütroman eine fesselnde, sprachlich beeindruckende und atmosphärisch dichte Geschichte gelungen, deren Stil mich beim Lesen an Romane von Ian McEwan, Leslie Glaister oder Anne Fine erinnerte. Die Schilderungen der neugierigen kleinen Kate mit ihrem Detektivspiel sind meisterhafte Einfühlungen einer erwachsenen Autorin in die Welt eines Kindes. Im zweiten Teil beleuchtet sie neben den gescheiterten Lebensträumen mittlerweile erwachsener Zeitgenossen der verschwundenen Kate die gnadenlos konsumorientierte Welt eines gesichtslosen Einkauftempels und die Entfremdung der Menschen von sich selbst.
Der englische Originaltitel „What was lost“ trifft noch genauer den Grundton des Romans. „Was mit Kate geschah“ ist ein beeindruckendes, sprachlich ansprechendes und tief berührendes Buch und lässt hoffen, dass auch die inzwischen erschienenen anderen Werke der Autorin von ähnlicher literarischer Kraft sein mögen.