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Patentöchter : Im Schatten der RAF – ein Dialog / Julia Albrecht ; Corinna Ponto

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Wer wie Jarg in den 70ern und 80ern aufgewachsen ist, kann sich noch gut an die allgegenwärtigen Fahndungsplakate mit den RAF-Terroristen erinnern, an Polizeikontrollen, eine diffuse, durch Attentate und Entführungen geschürte Terrorangst und die Kulmination im Jahr 1977 und im „Deutschen Herbst“. An den Terrorismus der 70er Jahre ist in den letzten Jahren ausführlich mit Spielfilmen, Dokumentationen und Büchern erinnert worden. Meistens mit dem Blick von außen, meistens mit Fokussierung auf die Täter, die nicht selten mit einer morbiden lustvollen Faszination verbunden war.
Julia Albrecht und Corinna Ponto führen in diesem Buch einen besonderen Dialog: Ponto ist die Tochter des 1977 ermordeten Bankiers Jürgen Ponto und Patentochter des Vaters von Julia Albrecht, damnals 13 Jahre. Albrecht ist die Schwester von Susanne Albrecht (damals 26) und Patentochter von Jürgen Ponto, die den Terroristen Klar und Mohnhaupt überhaupt erst den Zugang zum Haus der Pontos ermöglichte, mit dieser Tat vollends in die RAF abrutschte und zu einer der meistgesuchten Terroristinnen der 70er und 80er Jahre wurde. Der Kontakt zwischen den über die Väter gut befreundeten Familien Ponto und Albrecht brach kurz nach der Tat vollends ab.
Julia Albrecht nimmt 30 Jahre nach dem Mord Kontakt zu Corinna Ponto auf. Beide schreiben sich, treffen sich kurz darauf. Und ihr Briefwechsel wird zu einem ein Buchprojekt, einen Dialog über die Geschichte der RAF und den Umgang mit diesem besonderen Teil der deutschen Geschichte, über die Tragödie der Tat von 1977, über Aufarbeitung, Schuld, Versöhnung, über die Täter und – vor allem – die Opfer. Damit schreiben sie gegen die Mythen und Legenden an, die sich auch heute noch um die RAF ranken, gegen das Schweigen und die vielen, bis heute unaufgeklärten Details. Auch die Verflechtung der RAF mit der DDR-Stasi, mit westlichen Anwälten und Geheimdiensten beider Seiten wird thematisert, ebenso wie die sympatisierende, kritiklose Haltung vieler linker Intellektueller (Joschka Fischer zum Tod von Buback, Ponto, Schleyer: Nach der Ermordung von Schleyer, Ponto und Buback schrieb Fischer: „Bei den drei hohen Herren mag mir keine rechte Trauer aufkommen“).
Offen brechen Ponto und Albrecht das Schweigen, beschreiben das Leben vor nach der zwei Familien zerstörenden, alles verändernden Tat und machen die schwierige Annäherung im gegenseitigen Respekt möglich. Zugleich ist „Patentöchter“ aber auch ein Vorwurf an alle noch lebenden RAF-Mitglieder, die sich jeglicher selbstkritischer Aufarbeitung der RAF-Geschichte wiedersetzen. Ponto fordert zusätzlich vehement weitere Aufklärung ein und beklagt, dass ein Großteil der RAF-Akten bereits zur Vernichtung frei gegeben wurde – und dies gilt auch für die ehemals westdeutschen Bestände. Sie beklagt, dass es bis heute keine den Opfern angemessene Erinenrungskultur gibt und die Taten der RAF von Journalisten, Filmemachern und Künstler nicht selten inadäquat und dem Leid der Opfer wenig angemessen in Büchern, Filmen und Kunstaktionen verarbeitet und wohl auch vermarktet werden.
Ein tief berührendes, erschütterndes Buch über diesen dunklen Teil der deutschen Geschichte der 70er und 80er Jahre und über das nicht hinreichend zur Kenntnis genommene Leid der Opfer. Da es am Beispiel des Ponto-Attentats die Folgen von Terrorismus für die Opfer beleuchtet, reicht es in seiner Qualität weit über sein Thema hinaus und wird so zu einem Buch, dass sich in der dichten Beschreibung seiner dramatischen Folgen gegen jede Form von Terrorismus wendet. Ein Buch, dass zu den wichtigsten Büchern zum Thema zählt und hoffentlich Anstoss zu weiterer Aufklärung geben wird.

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