
Widmete sich der bekannte Neurologe Oliver Sacks in „Der einarmige Pianist“ noch dem Thema Musikalität und Gehirn mit besonderer Berücksichtigung von Hirnverletzungen und ihren Auswirkungen, berichtet der in seinem aktuellen Buch vom Auge und vom Wehen. Anhand von Fallgeschichten zeigt er die Verbindungen und neurologischen Wechselwirkungen zwischen der optischen Wahrnehmung und dem Bewußtsein.
So verliert zum Beispiel eine professionelle Pianistin plötzlich die Fähigkeit zum Lesen und damit auch zum Erkennen von Noten, vermag aber trotzdem noch Konzerte aus dem Gedächstnis oder der akustischen Erinnerung zu spielen. Obwohl sie auch die Fähigkeit zum Erkennen und Benennen von Gesichtern und Gegenständen verliert, entwickelt ihr Gehirn Strategien zum Umgang mit den Einschränkungen.
Eine seit früher Kindheit schielende Neurobiologin vermag erst mit fünfzig Jahren perspektivisch zu sehen und entdeckt eine zunächst erschreckende, dann immer faszinierende Welt, die ihr vorher verschlossen war. Und ein kanadischer Schriftsteller verliert zwar die Fähigkeit zu lesen, kann aber weiterhin schreiben.
Schliesslich Sacks selbst: während er an seinem Buch schreibt, erkrankt er an einem bösartigen Augentumor: das begeisterte Mitglied der New Yorker Stereoscopic Society verliert in kurzer Zeit einen großen Teil der Wahrnehmung auf dem rechten Auge und damit auch die Fähigkeit, Stereo zu sehen. Detailiert bescheibt er seine Krankheit in ihren verschiednen Phasen, die visuellen Einschränkungen und Veränderungen und ihre Auswirkungen auf seinen Alltag, aber auch die Versuche des Gehirns, Wahrnehmungsausfälle zu überblenden bzw. durch eigene Bilder zu ersetzen.
Mit „Das innere Auge“ legt Oliver Sacks eine weitere Sammlung von fasziniernden Fallstudien vor, die diesmal lebendig und anschaulich die zum Teil verblüffenden und komplexen neurologischen Zusammenhänge beim Thema Sehen und Sehstörungen beschreiben und erläutern. Am Ende der Lektüre steht der Leser nicht nur um einiges an speziellem neurologischem Wissen bereichert da, sondern auch staunend vor der in den Fallstudien dargelegten Fähigkeiten des Gehirns, neurologische Ausfälle und Störungen im Bereich des Sehens auf vielfältige Art zu kompensieren. Ein spannendes Sachbuch, das man nicht mehr aus der Hand zu legen vermag, wenn man wie Jarg die Verbindung von Wissenschaftsinformationen mit individuellen Schicksalen schätzt.
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