„Im Gegensatz zu Menschen, pflegte er zu sagen, verschwinden die leblosen Dinge nicht einfach“ (N. Krauss, Das grosse Haus)
Nicole Krauss, Frau von Jonathan Safran Foer und erfolgreich mit „Eine Geschichte der Liebe“, schreibt ihre Geschichten an einem Monstrum von Schreibtisch. Und geht mit „Das große Haus“ nicht nur das Wagnis ein, diesen Schreibtisch zum Mittelpunkt eines Romans zu machen und ihn über mehr als ein halbes Jahrhhundert zu begleiten, sondern führt auch noch vier verschiedene Ich-Erzähler ein, die zunächst scheinbar wenig bis nichts nichts miteinander zu tun haben.
Die zurückgezogen lebende New Yorker Schriftstellerin Nadia bekommt einen großen, ungeschlachten Schreibtisch anfang der 70er Jahre von einem chilenischen Studenten Daniel geliehen, der kurz darauf in den Lagern Pinochets stirbt. Viele Jahre später bekommt sie Besuch von einer jungen Frau, die sich als Tochter eben jenes Studenten ausgibt und den Schreibtisch abholt. Doch die Geschichte des Schreibtisches reicht weiter zurück: die deutsche Holocaustüberlebende Lotte hat ihn bis in die 60er Jahre besessen.
Und dann ist da noch Georg Weisz, dessen Familie der Schreibtisch vor dem Abtransport in den Holocaust gestohlen wurde. Weisz ist Kunsthändler mit einem besonderen Geschäftsmodell: er beschafft seinen Kunden Erinnerungen wieder in Form von vor langen Jahren verlorenen Gegenständen und geht dabei auch ungewöhnliche Wege. Den Schreibtisch sucht er seit fünf Jahrzehnten, um das im seinem Jerusalemer Haus nachgebaute Zimmer seines Vaters komplettieren zu können.
Alle vier Ich-Erzähler in den beiden Romanteilen mit jeweils vier Kapiteln und ihre großen inneren Monologe eint das Gefühl von Verlust und Trauer, von Sehnsucht nach Trost, von Lüge und von Schuld. Erschliesst sich der Roman zunächst aufgrund seiner komplexen Struktur nicht einfach, entwickelt er jedoch zunehmend einen unwiderstehlichen Sog, baut eine subtile Spannung auf, der man sich kaum mehr entziehen kann, bis sich zum Ende des Romans nach und nach alle seine Rätsel lösen.
„Aber das gilt nicht für uns, pflegte mein Vater zu sagen. Nicht für dich oder für mich. Wir leben, jeder von uns, damit wir unser Bruchstückchen bewahren, es bewahren im Zustand unaufhörlichen Bedauerns und andauernder Sehnsucht nach einem Ort, von dem wir nur wissen, dass es ihn gegeben hat, weil wir uns an ein Schlüsselloch, einen Ziegel oder daran erinnern, wie abgetreten die Schwelle unter einer offenen Tür war.“[…]
Ein Roman über die zerstörerische Macht von Geheimnissen und Erinnerungen, über Liebe, Verlust und Tod – und über die Macht, die die Dinge, die wir weitergeben – ob gegenständlich oder ideel, bewußt oder unbewußt – auf unsere Nachkommen haben. Ein zunächst sperriger, offensichtlich nicht auf die Bestsellerlisten zielend geschriebener Roman, für den man sich Zeit nehmen sollte, damit dessen melancholischer Zauber sich von Seite zu Seite mehr erschliessen kann.
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