Ein Dorf in Portugal. Cipriano Algor, ein alternder Töpfer, fertigt in seiner Töpferei Tonwaren für ein gigantisches Einkaufzentrum in der Stadt. Täglich fährt er mit seinem Schwiegersohn, der im Zentrum als Wachmann arbeitet, dorthin und liefert die Waren ab. Täglich verbiegen sie sich gegenüber dem Zentrum, um weiter von ihrer Hände Arbeit leben zu können, und bewahren sich doch im tiefsten Inneren ihren Stolz. Doch eines Tages ist das von heute auf morgen vorbei: man benötige keine Keramik mehr, da Plastik jetzt angesagt sei – der Markt wolle es so. Trotzdem Algor versucht, mit folkloristischen Tonfiguren das Zentrum als Verkaufsort wiederzugewinnen, scheitert er. Algor, sein Schwiegersohn und seine Tochter verlieren ihre eh schon kärgliche Existenzgrundlage. Aus ihrem idyllischen Dorf ziehen sie nun in die Stadt, ins Zentrum, und es sieht so aus, als hätten sie alles verloren.
Doch dann wird durch Baumaßnahmen eine Höhle unter dem Zentrum gefunden: die darin aufgefundenen, seit langer Zeit toten und gefesselten Menschen sind wie in Platons Höhlengleichnis angeordnet. Cipriano Algor und seine Familie kehren der Stadt und letztlich auch dem Dorf und der Töpferei den Rücken, um sich in eine unbekannte, auf mit Hoffnungen verknüpfte Zulunft aufzumachen.
Der sozialkritische und dabei eher lakonisch und ohne sozialistische Rührseligkeiten geschriebene Roman, der im Original „A caverna“ (Die Höhle) heisst, beschäftigt sich intensiv mit der Arbeitswelt in Zeiten der entfesselten, vom Markt bestimmten Konsum- und Erlebnisgesellschaft. Die Figur des anachronistischen, weisen, beharrlichen alternden Töpfers stellt Saramago gegen die entfesslte kapitalistische Gesellschaft und führt seine Figur voller Sympathie durch den Roman. Scheint es noch, als gebe es im Fluss der Ereignisse und der Macht des Marktes keinen Ausweg, zeigt Saramago mit dem Gleichnis der unter dem Zentrum gefundenen „platonischen Höhle“, dass auch in dem, was uns entfremdet und uns scheinbar unaufhaltsam mitreisst, die Möglichkeit zur Erkenntnis verborgen ist, andere Wege zu gehen, die einen nicht von seinem eigenen Wesenskern entfernen. Saramago glaubt an die Kraft der Liebe, der Freundschaft und der menschlichen Kreativität, die sich auch gegen stärkere Mächte, entfremdete Lebenszusammenhänge und eine sinnentleerte, hohle Lebensweise durchzusetzen vermag, wenn wir sie nur erkennen.
Ein wunderbares, hochliterarisches und trotzdem spannendes und gut zu lesendes Buch.
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Eine für uns sehr gute und schöne Besprechung, Jarg. Dass Du im letzten Satz das „trotzdem“ verwendest, gefällt uns auch! 😉
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