„Dies ist nicht das Ende, aber auch kein neuer Anfang. Es liegt irgendwo dazwischen […] Vielleicht ist jeder Anfang aber auch das Ende von dem Vorhergehenden, wer weiß das schon. Oder jeder Anfang ist einfach bloß der Anfang und das Ende einfach bloß das Ende – das kann auch sein“ (David Ronaldo, Clown, Belgien)
Alle Welt redet derzeit von Europa: leider jedoch wird das Thema meist verkürzt auf die Streitereien zum Thema Euro und auf billige Witzchen über die Friedensnobelpreisverleihung an die EU. Bei aller auch berechtigten Kritik an der zu raschen Erweiterung des EU- und Euro-Raums, an der Wirtschafts- und Finanzpolitik, der überbordenden Brüsseler Bürokratie und der fehlenden demokratischen Legitimation Europas verkürzt sich der Blick dadurch jedoch unzulässig. Denn Europa ist mehr als der Euro, mehr als Straßburg & Brüssel.
Der Journalist und Fotograf Oliver Lück und sein Hund Locke, ein Hovawart, machen sich in einem alten VW-Bus T3 auf den Weg: über 20 Monate und 50.000 Kilometer reisen sie durch Europa, treffen einen baskischen Chillibauern, eine irische Geschichtenerzählerin, einen litauischen Bernsteinfischer, den estnischen Weltrekordhalter im Schaukeln, die norwegische Grenzgängerin und Extrembergsteigerin Cecilie Skog. Er entdeckt ein kleines italienisches Dorf, dass sich für einen selbständigen Staat hält und einen Prinzen gewählt hat, begleitet in der Schweiz den Betreuuer hektischer indischer Bollywood-Filmteams. In einer englischen Stadt lernt er den „Affen“ kennen, der dort zum Bürgermeister gewählt wurde, läuft anschliessend zwei Tage in das abgelegenste schottische Dorf. Zum Abschluss seiner Europareise lässt er sich bezaubern vom ungewöhnlichen, weisen belgischen Clow David Ronaldo aus dem ebenso ungewöhnlichen „Circus Ronaldo“
Mit großer Empathie für die zum Teil skurrilen, ungewöhnlichen und besonderen europäischen Gestalten und tiefer, unermüdlicher Neugier begegnet Lück den Porträtierten, schildert warmherzig, mit feinem Humor und guter Beobachtungsgabe die Begegnungen. Dabei begegnet er durchaus nationalen Klischees wie etwa im „Mafialand“ Italien: letztlich aber wird immer der Mensch dahinter sichtbar, seine besondere, eigentümliche Geschichte, die sich in nationalen Besonderheiten bricht. Eben damit erreicht Lück etwas ganz besonderes: er macht Europa in seiner Vielfalt sichtbar, indem er exemplarisch Menschen sichtbar macht, die in Europa leben. Europa, dieser lange Zeit von Kriegen geprägte Kontinent, zeigt sich dadurch in seiner ganzen Farbigkeit und lässt die Chancen und Möglichkeiten erkennen, die Europa hat, wenn es aus dem Schatz der Erfahrungen, Kenntnisse und Mentalitäten schöpft, die seine Bevölkerung mitbringt.
Ein wundervolles Buch über eine ungewöhnliche Reiseerfahrung mit intensiven Begegnungen, nach dessen Lektüre man sich glücklich schätzt. auf einem so friedlichen und bunten Kontinent zu wohnen.