
Scheinbar bin ich gerade im Begriff, wieder etwas über Lesefortschritte zu posten und erwecke damit möglicherweise den Eindruck, gewissermaßen selber ein Elch zu sein, obwohl ich gestern noch über statistikfanatischen Elche in der Blogsphäre verwunderte Gedanken geäußert habe. Vielleicht ist aber auch der in elektronischer Form vorliegende Mark Twain schuld, begegnete er doch auf außergewöhnliche Weise der von ihm postulierten Unmöglichkeit, eine wirkliche Biografie zu schreiben: er ging bei seinen Diktaten und Aufzeichnungen meist vom Tagesgeschehen aus und wanderte von dort aus wild mäandernd durch sein Leben. Das hört und liest sich – soviel sei vorweggenommen – für jemanden, der bisher noch nichts explizit autobiografisches von Twain gelesen hat, ausgesprochen kurzweilig und lässt einen rasch selbst in einen innerlichen Plauderton verfallen. Womit allerdings die Gefahr bestünde, dass ich selbst hier mein Leben ausbreite, ohne diesen Artikel jemals veröffentlichen zu können, da ich sofort die gleiche Haltung wie Mark Twain einzunehmen gedächte: Publikation in frühestens 100 Jahren. Allerdings nahm er, der schon mit dem Phonographen als Aufzeichnungsgerät experimentierte, so etwas wie die „elektrische“ Publikation gedanklich voraus, was ich ausgesprochen weitsichtig finde.
Nein, das werde ich nicht tun. In 100 Jahren sind E-Book-Reader womöglich völlig aus der Mode: man lädt sich das Buch direkt ins Kleinhirn, stimmt vorher virtuell ab, welche emotionale Grundstimmung und was für ein Ende es haben soll und kennt ansonsten gedruckte Bücher nur aus archäologischen Ausgrabungen. Schreckliche Vorstellung.
Heute hielt ich „Meine geheime Autobiographie“ nochmal kurz in der schön edierten Bibliotheksausgabe in Händen, bevor sie ein interessierter Leser nach Hause entführte: die Gewichtsunterschiede zwischen Reader und Buch sind natürlich gerade bei solch einem Schwergewicht offensichtlich. Ich möchte auch nicht wissen, wie das Buch nach vier Tagen in meiner chronisch chaotifizierten Umhängetasche ausgesehen hätte. Da hatte ich es mit dem Reader sehr viel leichter und trotze selbst gelegentlicher Enge im baustellenbedingten, busbetriebenen Schienenersatzverkehr.
Da ich aber im Augenblick sowohl die Rezension eines E-Books (Twain) als auch eines gedruckten, ähnlich umfänglichen Buches (Lisa Moore) vorbereite, gibt es schon einen wesentlichen Unterschied zu vermerken, der zumindest für einen analog sozialisierten und damit gewissermaßen im Alltagsbetrieb leicht anfossilisierten Menschen wie mich auf den ersten Blick für das gedruckte Buch spricht: ich neige dazu, bei einem Buch, dass mich sehr beschäftigt und bewegt, einen Zettel hineinzulegen, der nicht nur als Lesezeichen dient, sondern auf dem ich auch mittels Seitenzahl und meistens nur einem Schlagwort Stellen notiere, die mir haften geblieben sind und die ich mir – sei es für die Rezension oder weil es grad gefällt – auf diese Weise rasch nochmal zu Gemüte führen kann, wenn die Lektüre vorbei ist. Notiert ist rasch und nachgeschlagen ebenfalls, weil ich meistens rasch auf der notierten seite zum gesuchten Zitat finde.
Im E-Book-Reader geht das auch. Beim Kobo muss ich dazu mit dem Finger etwas länger auf den Beginn der zu markierenden Stelle tippen und dann das Zitat nach unten oder oben weg markieren. So weit, so gut. Aber es ist auch ein wenig frickelig. Manchmal trifft man nicht so genau und es kommt nicht alles mit. Dann tippe ich auf den Bleistift im erscheinenden Menü, klicke auf „Markierung“ oder auf „Notiz ergänzen“. Das dauert insgesamt sehr viel länger, als wenn ich den Zeittel nehme. Das ist der Nachteil. Der Vorteil ist, dass ich am Ende alle Anmerkungen ansehen, lesen und mich direkt zu der Buchseite versetzen lassen kann, auf der das markierte Zitat oder der Auschnitt daraus stehen. Das wiederum hat schon was. Fühlt sich aber noch sehr neu an und ich weiß noch nicht, was ich besser finden soll: da mein Handy so uralt ist, dass es quasi noch eine Wählscheibe hat (wenn auch keinen beigefügten 10-Kilo-Koffer), ist mir die dauernde „Wischerei“ im Alltagsmodus relativ fremd. Aber das kann ja noch werden.
Fakt ist – und damit kommt diese relativ belanglose Plauderei ans Ende – dass bei etwa 56% des E-Books die eigentliche Autobiographie zuende ist. Es folgt der sorgfältig zusammengestellte Anmerkungsapparat samt Editionserläuertungen, den man allerdings zum Teil überfliegen kann – es sei denn, man möchte wirklich jede Fußnote lesen. Mehr dazu in der Rezension, die in Kürze erscheint. Ich bin also fertig. Restlos. Und dieses war der dritte und letzte Post auf diesem Blog, in dem etwas über Lesefortschritte etc. steht. Versprochen. Sonst heisst es noch wie in jenem sehr berühmten Romananfang: „Nennt mich Elch“. Oder so.
Eine kleine Korrektur, da ich falsch zitiert habe: Es muss heißen „seiner Verwendung etwas Grundlegendes verändern können.“
Wenn Du das bitte editieren (und evtll. diesen Kommentar löschen) könntest, wäre das nett!
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Hallo Jarg!
Nun ist das „Ende des Buches“ nicht das zentrale Thema Deines Artikels, hat sich aber (leider) doch irgendwie in den Text geschlichen. Vielleicht hast Du Recht, wir werden es beide nicht mehr erleben. Ich glaube allerdings, man muss kein großer Optimist sein, um sich vorstellen zu können, dass das gedruckte Buch mindestens noch einmal so lange (und meiner Meinung nach weit darüber hinaus) existieren wird, so wie es auch die Jahrhunderte seit es gedruckte Bücher gibt, überdauert hat. Ich habe das folgende Zitat vor bald 2 Jahren schon einmal unter einen Blogartikel (das Blog gibt es nicht mehr) zum vermeintlichen „Tod des Buches“ gesetzt, weil ich es als herrlich schlicht und treffend empfinde:
„Die Entwicklungen rund um den Gegenstand Buch haben seit über fünfhundert Jahren weder an seiner Funktion noch an den Arten seiner Verwendung etwas ändern können. Das Buch ist wie der Löffel, der Hammer, das Rad oder die Schere: Sind diese Dinge erst einmal erfunden, lässt sich Besseres nicht mehr machen. An einem Löffel gibt es nichts zu verbessern.“ (Aus Umberto Eco/ Jean-Claude Carrière: Die große Zukunft des Buches)
In dem genannten Buch werden viele Thesen diskutiert (von denen ich nicht mehr viele im Kopf habe), wird darafu hingewiesen, dass in verschiedenen Phasen der Geschichte Bücher zensiert, verboten, verbrannt wurden usw., aber letztlich war das Medium an sich doch nie vom Aussterben bedroht, oder? Warum soll das also in naher Zukunft (und das sind für mich auch im schnelllebigen Informationszeitalter 100 Jahre) geschehen?
Darüber, ob die Zahl der gedruckten Bücher in Zukunft stark abnehmen wird und welche Meinung ich dazu hätte, habe ich mir noch nicht den Kopf zerbrochen. Gedanken, die in diese Richtung zielen, entstehen vielleicht auch aus Gedanken über unsere Lebensweise/Gesellschaft an sich, um es mal sehr grob und undifferenziert zu betrachten.
Viele Grüße!
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Hallo!
Vielen Dank für deinen sehr anregenden Kommentar.
Im Prinzip sehe ich das ähnlich und glaube nicht wirklich daran, dass das gedruckte Buch verschwinden wird. Aber das Verhalten von Multis wie Amazon und Aplle und von vielen Verlagen, die das Geschäft mit E-Books als ein völlig anderes betrachten als jenes mit Büchern (und deshalb etwa den Bibliotheken keine Rechte zur Ausleihe einräumen wollen), bergen schon einige Risiken für eine offene Gesellschaft, die allen die Möglichkeit zur kulturellen Teilhabe ermöglicht.
Die technischen Entwicklungen bieten halt immer beides: Gefahren, aber auch damit einhergehende Verbesserungen und Chancen. Auf einem Bücherblog meinte neulich jemand, das Buch müsse „nervöser“ werden, durchlässiger, virtueller, vernetzter, veränderbarer … etwas, was ich eigentlich von einem Buch (und sei es virtuell vorliegend) nie erwarten würde, im Gegenteil. Aber es ist auch immer eine Entscheidung – eine Entscheidung, ob ich noch in eine Buchhandlung gehe oder in eine Bibliothek und damit auch dem Ort einen Wert einräume, der mir ein Leseerlebnis (und mehr) ermöglicht. Oder ob ich nur noch in Dateien wühlen will.
Es ist eine spannende Zeit – mit vielen Gefahren für die Vielfalt und Tiefe der Buchkultur. Aber auch mit vielen Chancen.
Herzlich grüsst
Jarg
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Lieber Jarg, ich denke nicht, dass du am Ende selber ein Elch bist – dein heutiger Beitrag & sein Plauderton (evt. beeinflusst von Twain) gefällt mir jedenfalls sehr, trotz Statistik (die sich allerdings nicht angeberisch in den Vordergrund drängt, sondern als charmante Trägerin fungiert) : )
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Oh, danke schön für das charmante Kompliment 🙂
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