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Schmetterlinge : Warum sie verschwinden und was das für uns bedeutet / Josef H. Reichholf

Nicht die Großstadt ist das Ende der Natur, sondern das Maisfeld (Josef Reichholf: „Schmetterlinge“, S. 240)

Der Zoologe, Evolutionsbiologe und Ökologe Josef H. Reichholf zählt zu den Wissenschaftlern, die über ihr Fachgebiet und in seinem Fall auch darüber hinaus nicht nur verständlich zu berichten wissen, sondern auch spannend, unterhaltsam und anregend. Im vorliegenden Buch setzt sich Reichholf mit einem aktuellen Thema auseinander: dem Verschwinden der Insekten und hier insbesondere der Schmetterlinge, die in seiner Berufslaufbahn wiederholt eine besondere Rolle gespielt haben. Dabei ist spürbar, wie sehr Reichholf von seinem Untersuchungsobjekt fasziniert ist: schon in Kindertages hat er sich mit Schmetterlingen beschäftigt und sich seither immer wieder als Forscher mit dem Thema befasst.

Zu Beginn geht Reichholf auf zum Teil sehr persönliche Art auf die Lebensweise der Schmetterlinge ein, ihre Vielfalt und die Faszination, die für ihn als Forscher und für viele andere Menschen von ihnen ausgeht. Er beschreibt Verfahren, Schmetterlinge anzulocken, geht auf Schillerfalter, Brennnesselfalter und wandernde Schmetterlingsarten ebenso ein wie auf giftige Schmetterlinge vom Kohlweißling bis zum Blutströpfchen und befasst sich eingehend mit den oft mißverstandenen Gespinstmotten, den überaus kältetoleranten Frostspannern und dem Zitronenfalter als Frühlingsboten. Immer spürbar ist die große Liebe des Forschers, der immer wieder auch die Bedeutung der Schmetterlinge für die Kultur des Menschen von der Kunst bis zur Literatur herausstellt, zu seinem Untersuchungsobjekt, aber auch die damit verbundene Neugier.

Eingehend befasst sich Reichholf mit dem Vorkommen der Schmetterlinge in den letzten 50 Jahren und führt mit Hilfe zahlreicher Belege den erschreckenden Beweis für eine Tatsache an, die man zumindest subjektiv als naturliebender Mensch längst geahnt hat: die Zahl der Schmetterlinge und der für sie bewohnbaren Habitate geht zurück – und zwar dramatisch. Über alle Messungen und Zählungen hinweg ist von einem Verlust von 80% in der Häufigkeit auszugehen. Darüberhinaus sind zahlreiche Arten extrem selten geworden oder sogar zumindest lokal ausgestorben. Das Entsetzen darüber ist auch dem Autor deutlich anzumerken. Ein Entsetzen, das in spürbare Wut auf die Ursachen des Schmetterlingsschwundes mündet, dass er deutlich und mit zahlreichen Belegen zu benennen und anzuklagen weiß:

Die Planwirtschaft im Agrarbereich verschlingt Milliarden um Milliarden an öffentlichen, gewiss anderweitig besser eingesetzten Mitteln. Wiederum muss ich betonen, dass dies überhaupt keine neuen oder gar neuartigen Erkenntnisse sind. Die Politik weiß seit den 1970er Jahren Bescheid. Zu Lösungen kam sie nicht. Die Flickschusterei wechselnder Förderungen mit all ihren Fehlschlägen und Folgekosten wird auf die Steuerzahler abgewälzt. Das gelingt, weil diese ihre Steuerlast den einzelnen staatlichen Ausgaben nicht zuordnen können. Alles geht zunächst in einen Topf. Daraus wird verteilt. Die Öffentlichkeit bekommt billige Nahrungsmittel, obgleich diese tatsächlich wesentlich mit Steuergeld vorfinanziert sind. Ein Drittel davon landet im Abfall. Sie sind also viel zu billig! Für Trinkwasser bezahlen wir doppelt, weil dessen kostspielig zu beseitigende Verunreinigung vorher subventioniert wurde. Das System hat Züge von Parasitismus angenommen. Die davon betroffenen merken zu wenig, weil Ihnen das wirkliche Geschehen ungemein geschickt verschleiert wird.

Reichholf fordert vehement eine veränderte Landwirtschaftspolitik ein, geht aber auch mit den Naturschützern und den Grünen ins Gericht, die sich oft auf Schutzgebiete zurückziehen und in der Stadt eher den Feind der Natur sehen. Zugleich darf man eigentlich noch nicht mal einen geschützten Falter von der Motorhaube des Autos kratzen, während die Landwirtschaft über 310 Milliarden Liter Gülle auf die Äcker giesst, damit das Trinkwasser vergiftet und Biotope zerstört, Jäger durch die Anfütterung von Jagdwild und die Förster durch Abmähen von Forstwegrändern und intensiver Waldbewirtschaftung ebenfalls gesetzlich legitimierte Naturzerstörung betreiben. Fakt ist: die Städte tragen mittlerweile wesentlich zum Überleben vieler Arten bei, wohingegen die Landwirtschaft als Hauptverursacher des Schmetterlings- und Insektensterbens auszumachen ist. Weite Teile des Landes sind mittlerweile agrarindustrielle Einöden, auf denen aus Mais, Raps und Getreide nichts mehr wächst. Insofern ist Reichholfs Buch nicht nur das überaus lesenswerte, faszinierende und zugleich erschütternde Buch eines Naturforschers, sondern auch ein überaus politisches Buch: über die gefahren des Klimawandels wird gerne vergessen, wie groß die Gefahr der modernen Landwirtschaft mit ihren Agrarwüsten für die Natur und damit auch unser Überleben ist.

Ein sehr empfehlenswertes Buch für alle, denen das Verschwinden der Schmetterlinge ebenso ans Herz geht. Ein Buch, das Pflichtlektüre für jeden Landwirtschaftsminister und alle Agrarlobbyisten sein sollte!

4 Kommentare zu “Schmetterlinge : Warum sie verschwinden und was das für uns bedeutet / Josef H. Reichholf

    • Das ist gut. So gibt es zumindest ein paar Inseln für Schmetterlinge und Insekten. Ich hoffe, dass sich auch politisch was ändert, denn weite Teile Europas sind mittlerweile Agrarwüsten. Einen feinen Abend dir, lieber Pit, und liebe Grüsse (heute mal aus Leipzig).

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