In Zeiten, in denen der tot geglaubte Rechtsextremismus in Form von populistischen Bewegungen in ganz Europa wieder auftrumpft und demokratieferne Parteien wie die sogenannte Afd ungeniert an rassistische Positionen anknüpfen, kommt wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Thema Migration und der Entwicklung des modernen Menschen in Gegenüberstellung zu den kruden Thesen und Vorurteilen engstirniger nationalistischer Bewegungen besondere Bedeutung zu: hier ist es das Thema Archäogeneteik, das mittelbar im Fokus steht und sich mit der Untersuchung und vergleichenden Analyse von DNA aus rezenten Lebewesen und Pflanzen und archäologischen Funden befasst. Johannes Krause, der Direktor des Max-Planck-Institutes für Menschheitsgeschichte in Jena und des Max-Planck-Harvard-Forschungszentrums war an der Dekodierung des Neandertaler-Genoms beteiligt. Zusammen mit dem Wissenschaftsjournalisten Thomas Trappe hat er ein Buch über die Migrationsbewegungen in Europa in den letzten 40.000 Jahren geschrieben.
Das Buch verblüfft in verschiedenster Hinsicht: zum einen widerlegt es mit aktuellen Erkenntnissen alte, zum Teil romantisierte Vorstellungen vom Ursprung der europäischen Kultur. Zum anderen deckt es die tatsächlichen Migrationsbewegungen auf und zeigt deutlich, dass es so etwas wie ein europäisches Gen tatsächlich nicht gibt. Das Gebiet Europas war immer wieder Schauplatz von zum Teil dramatischen Bevölkerungsbewegungen, -vermischungen und -verdrängungen. Seuchen wie die Pest und ihr vermutlich tatsächlicher Ursprung spielten dabei ebenso eine Rolle wie kriegerische Auseinandersetzungen. Der Bogen, den Krause und Trappe spannen, ist dabei weit und am Ende wird vor allem deutlich, dass es keinerlei Berechtigung dafür gibt, von DEM europäischen Menschen zu sprechen.
Im Gegenteil: mit gewisser Wahrscheinlichkeit waren die ersten Europäer dunkelhäutig, lag die Wiege der ersten europäischen Agrarkulturen in Migrationen aus dem anatolischen Raum, die hiesige Jäger- und Sammlerkulturen verdrängten. Regionale Unterschiede im Erbgut sind zwar feststellbar, aber letztlich zu vernachlässigen in dem Mix aus verschiedensten Ausprägungen des Homo Sapiens mit ein wenig Neandertaler und einem Hauch Denisova-Gen.
Europa, wie es sich heute zeigt, war und ist in jeder Hinsicht von Migration geprägt, während es die von nationalistischer Seite postulierten genetischen Grenzen zwischen den Völkern in Wahrheit ebenso wenig gibt wie „reine“ Europäaer. Das spannend, anschaulich und mit Leidenschaft wie Sachverstand geschriebene Buch ist eine passende und sehr differenziert und genau argumentierende wissenschaftliche Antwort auf die nationalistischen Debatten unserer Tage, weshalb ich es sehr gerne empfehle.
Das möchte ich lesen, klingt ganz nach einem Buch für mich – danke für den Tipp 🙂
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Gern geschehen: das lohnt sich wirklich. Und ich muss bald mal mit dem Buch anfangen, dass ich für deine Reihe lesen und rezensieren wollte. Liegt hier schon … aber ich komme nicht aus dem Fahrradsattel. 😉Sonnige Grüsse von Jarg
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