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Das System Milch : Die Wahrheit über die Milchindustrie / Regie: Andreas Pichler

Der 1967 geborene Dokumentarfilmer Andreas Pichler aus Bozen/Südtirol hat in seiner Kindheit selbst Kühe gehütet. In seiner mehrfach preisgekrönten Dokumentation geht er einer Industrie nach, die sich seit Jahrzehnten exponentiell entwickelt und dabei weitreichende, weltumspannende Veränderungen verursacht hat: die Milchwirtschaft ist von lokal verankerten bäuerlichen Betrieben und Genossenschaften zu einer globalen, hoch profitablen Industrie geworden.

Pichler setzt dabei stark auf die Kraft der Bilder sowie auf Interviews mit verschiedenen Protagonisten und Experten, unterfüttert mit Zahlen und Statistiken. CEOs von Arla und anderen globalen Branchengrößen im Agrobusiness mit der Milch versuchen dabei, wortgewandt die angeblichen Vorteile einer auf große Mengen und Effizienz setzenden Milchwirtschaft herauszustreichen: dabei werden die angeblich gesundheitsfördernden Effekte hohen Milchkonsums betont und auf die Welternährung verwiesen, die bei weiter wachsender Bevölkerung nicht zu leisten sei. Bei aller Eloquemz wird aber bereits hier deutlich, dass es bei den „Dairy Products“ um einen riesigen Markt geht, der längst bis nach Asien expandiert und auch lokale Strukturen in wenig entwickelten Ländern durch die schiere Menge an den Rand des Ruins treibt. Die Folgen für den Klimawandel durch das den Methanausstoss befördernde, regenwaldvernichtende Kraftfutter sparen die Lenker dieser multinationalen Unternehmen ebenso aus wie das Tierwohl.

Am Beispiel eines dänischen Großbetriebes mit 750 Kühen wird klar, wie industrielle Milchproduktion im Gegensatz zum schönen Bild aus der Werbung aussieht, dass Tiere hier nur noch ein Kostenfaktor sind, der auf Effizienz getrimmt und im Zweifel bei zu geringer Wirtschaftlichkeit ausgesondert wird. Technische Innovationen, Preisdruck, billige Futtermittel und immer größere Betriebe beeinflussen sich dabei gegenseitig und machen kleine Familienbetriebe unwirtschaftlich, führen zu massiver Konkurrenz unter bäuerlichen Betrieben, die nur zwei Möglichkeiten haben: wachsen oder aufhören. Auch dem abgeklärten Peder Mouritsen, Manager des Großbetriebes, scheinen manchmal Zweifel zu kommen, wenn er am Ende sagt, dass man manchmal auch ein Arschloch sein muss, um den Betrieb in einem hochkompetitiven Umfeld am Leben zu erhalten.

Der kleine schwäbische Familienbetrieb kommt dagegen mit nur 250 Kühen knapp über die Runden, verdient an der zu Biogas veredelten Gülle mittlerweile mehr als an der Milch und ist – ebenso wie die Großbetriebe, abhängig von den Subventionen der Europäischen Union. Dagegen versucht der engagierte Biobauer aus Südtirol, sich mit wenigen Kühen und lokaler Vermarktung zu positionieren: er setzt das Tierwohl und die Qualität der Produkte, aber auch die ökologischen und politischen Aspekte in den Vordergrund. Wo die industriell vermarktete Hochleitungskuh ein Leben von maximal 5 Jahren vor sich hat, haben seine Kühe eine Lebenserwartung von 20 und mehr Jahren.

Zwischen den verschiedenen Positionen entlarvt sich dabei ein zutiefst verstörendes System, das weitreichende Folgen nicht nur für die Verbraucher, sondern auch für die Bauern, die Umwelt und außereuropäische Länder hat. Exkurse nach China, einen sich entwickelnden Massenmarkt, der mittlerweile eine Milchindustrie nach europäischem Vorbild entwickelt, und in den unter dem Import subventionierter Milchprodukte Senegal unterstützen dabei die kritische Position des Regisseurs: die Söhne und Töchter der senegalesischen Farmer und Milchbauern sind jene, denen nur die Flucht nach Europa bleibt, wenn künstlich billig gehaltene Importe die lokalen Strukturen zerstören.

So schließt sich der Kreis – und am Ende sind es wenige Cent, die den Unterschied machen, und hohe europäische Subventionen, die längst nicht mehr der Sicherung der Grundversorgung auf dem Kontinent dienen, sondern auf Kosten von Bauern, Tieren und Umwelt und nicht zuletzt des Steuerzahlers europäische Milch zum globalen Wirtschaftsgut machen. Wer nach diesem erschütternden Film seinen Milchkonsum nicht überdenkt oder zumindest auf lokal erzeugte Biomilch umsteigt, dem ist nicht mehr zu helfen.

6 Kommentare zu “Das System Milch : Die Wahrheit über die Milchindustrie / Regie: Andreas Pichler

  1. Den habe ich vor einiger Zeit auch gesehen und stimme dir im Grunde zu. Vor allem die globalen Zusammenhänge zwischen Milchindustrie und Armut in Afrika wird sehr gut erklärt und gezeigt.

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    • Ja, den Teil mit Afrika fand ich auch erschütternd. Ist ja leider oft so, dass mit subventionierten Produkten aus der EU lokale Märkte und Entwicklungen negativ beeinflußt werden. Und dann wundern wir uns, wenn die Menschen keine andere Wahl mehr haben als ihr Glück anderswo zu suchen: am Ende hängt eben doch alles mit allem zusammen.

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  2. Diese Dokumentation, die ich schon kenne, und einige andere Dokus über unser „pervertiertes Wirtschaftssystem“, lassen mich nicht erst seit gestern zu dem Schluss kommen:
    Die Konstruktion der EU und des Euro dient der (Finanz-)Wirtschaft, nicht aber den Menschen und Geschöpfen der EU, wie es immer von EU- und nationalen Politikern behauptet und von der Presse verbreitet wird.

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    • Ja, und leider kommt die grundsätzliche gute Idee der EU damit auf den Hund. Ich glaube zwar weiterhin, dass mehr europäische Integration wichtig ist – aber da müssen Reformen her und das Ganze muss demokratischer, transparenter und bürgernäher werden.

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      • Ich denke, wir müssten unter den Bürgern erst einmal klären, was für ein Europa wir überhaupt wollen.
        Ein Europa a la UK,
        Ein Europa souveräner Einzelstaaten mit ähnlichen Lebensvorstellungen, oder
        Einen europäischen Bundesstaat nach amerikanischem Vorbild.
        Ich wage keine Prognose. Dann können wir über demokratischer, transparenter und bürgernäher reden.

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      • Da gebe ich dir recht. Ich hoffe nur, dass wir das bald klären, bevor es zerbricht – dieses vereinte Europa, zu dem ich keine Alternative sehe, die Zukunft haben kann.

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