„An manchen Dingen auf dieser Welt rührt man besser nicht. Sie sind nicht für unsere Augen bestimmt. Manche Grenzen sollte man nicht überschreiten. Und wenn man sie doch überschreitet, muss man eben akzeptieren, was kommt“. (aus: William Gay, Nächtliche Vorkommnisse). Das Vorspiel des Romans beschreibt, wie in einem kleinen Kaff in Tennesse im Jahr 1951 fünf übel zugerichtete Leichen auf einem Pritschenwagen herangekarrt werden. Danach beginnt die eigentliche Geschichte, und der Leser wird mit den Geschwistern Corry und Kenneth Tyler bekannt gemacht, die aus unterprivilegierten Verhältnissen stammen. Beide haben entdeckt, dass der reiche Bestattungsunternehmer Fenton Breece nicht nur mit der Leiche ihres Vaters, sondern auch anderen Leichen bizarre Dinge angestellt hat. Als Kenneth eine Tasche mit Fotos entwendet, die Breece bei perversen Handlungen mit Leichen zeigen, beschliesst Corry, Breece mit diesem Wissen zu erpressen. Doch Breece heuert Granville Sutter an, einen üblen, gewissenlosen und äußerst gewaltbereiten Mann, dem keiner sich in den Weg zu stellen traut: Sutter soll das Problem mit den Tylers für ihn lösen. Eine gnadenlose, tage- und nächtelange Jagd durch das karge, einsame, verwilderte und von skurillen, an Mythen- und Märchenfiguren erinnernden Gestalten bewohnte Hinterland Harrikin beginnt, die keinen Raum für Hoffnung zu lassen scheint.
Wer „Kein Land für alte Männer“ angesprochen hat, der wird sich bei der Lektüre von William Gays Roman stark an Cormack McCarthy erinnert fühlen. Gay schildert einen aussichtlos erscheinenden Kampf des Guten gegen das Böse in schonungsloser, direkter Sprache und lässt bis kurz vor dem Ende des Romans keine Hoffnung auf Licht in der abgrundtiefen menschlichen Finsternis, in die er uns führt. Granville Sutter, der gewaltbereite, gewissenlose Mensch, erinnert stark an McCarthys psychopathischen Auftragskiller Chigurh. Während Chigurh in „Kein Land für alte Männer“ jedoch bereits jenseits jeglicher Moralvorstellungen ist, wird von Granville Sutter in Gays Roman eben diese Grenze zur absoluten Amoralität und Gewissenlosigkeit gerade überschritten. Kenneth Tyler dagegen, sein Gegenspieler, kämpft bis zum Schluss erschöpft und nahezu aussichtlos gegen den übermächtig scheinenden Gegner, der auf seiner Mission vor nichts und niemand Halt macht. Ein unglaublich dichter Roman ohne Spannungsabfall, der nicht nur Thriller ist, sondern auch ein düsterer Entwicklungsroman und eine Allegorie auf menschliche Abgründe und den Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen. Ein Roman von geradezu archaischer Wucht
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