
Es gibt Geschichten, denen man sich nicht entziehen kann, die einen regelrecht fesseln und dem weiteren Fortgang der Handlung, der Erlebnissen des oder der Protagonisten entgegenfiebern lassen: und nicht selten sind es Geschichten, bei denen man nicht weiss, ob man lachen oder weinen soll.
Der 1903 geborene Trenchmouth Taggart ist 108 Jahre alt und beginnt seine Geschichte zu erzählen: er ist ein Aussenseiter, der mit zwei Monaten in den Fluss fiel und von der Witwe Dorsett aufgezogen, geschlagen mit extremer Mundfäule (engl.: Trenchmouth) durch eine Infektion, die er sich im kalten Fluss zugezogen hat. Und so wird er für die anderen Menschen aufgrund seines extremen Mundgeruchs zu Stinky T. – nur die Witwe und Clarissa, ein weiteres Kind, dass die lebenskluge, gewitzte Schwarzbrennerin aufzieht, stehen zu ihm. So schlägt er sich durch, früh dem Alkohol verfallen und doch mit Fähigkeiten ausgestattet, denen heimlich die Frauen verfallen, ermordet als Scharfschütze im Bergarbeiterstreik der 1920er Jahre brutale, von den Bergbaubetrieben entsandte Unterdrücker, flieht für zwanzig Jahre als Eremit in die Berge mit nichts als ein paar Habseligkeiten, einem magischen, sich scheinbar nie leerenden Flachmann mit versteckter Kleinpistole. In der 1940er Jahren taucht er wieder auf, waldschratig, gestählt von den Wäldern, und beginnt ein zweites Leben unter neuem Namen als hochbegabter Harmonikaspieler, der mit Blues- und Hillbillygrössen auftritt, Chuck Berry, Hank Williams, Willie Dixon trifft, bis er jäh wieder untertauchen muss.
Doch Trenchmouth Taggart findet erneut einen Weg ins Leben, entsagt dem Alkohol, wird zum Journalisten eines Hinterwäldlerblattes, der sogar John F. Kennedy auf Wahlkampftour begleitet und schliesslich den Pulitzerpreis erhält.
Erneut flieht er vor seiner Vergangenheit, verschwindet in den Wäldern und taucht wieder auf, alt geworden doch noch immer zäh und geradeaus …
Ein unglaublicher Roman, lebensprall, skurill und absurd, zeitweise unglaublich komisch und stets mitreissend, hervorragend aufgebaut und geschrieben, jenseits aller literarischen Konventionen: Glenn Taylor hat sich mit dieser Geschichte auf das Wagnis einer schriftstellerischen Wildwasserfahrt eingelassen – und sie perfekt gemeistert. Das Buch schmeckt nach Tabak und Schwarzgebranntem, klingt nach Rockabilly und Blues. Es wurden viele Vergleiche bemüht diese Geschichte und diesen so gar nicht als strahlender Held auftretenden schrägen Abenteuer, Forrest Gump oder die Helden von Mark Twain … sicher ist nur, dass man dieses Buch lesen und sich von dem schrägen, wunderbaren Jahrhundertabenteuer im wilden Westen Virginias begeistern lassen sollte und seinem unkonventionellen Helden, den man rasch ins Herz schliesst auf seiner furiosen Lebensreise.
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