
Brieffreundschaften sind so eine Sache, vor allem, wenn man sich noch nie gesehen hat und ein Fotoverbot zu den Regeln gehört: Betti Lauban, 19 Jahre und aus der kleinen Provinzstadt Warendorf, hat seine Jahren eine Brieffreundschaft zu September Nowak. Die lebt in Monaco in einem Chateau, tanzt Ballett, badet ihm Sommer lange im Freibad am Hafen und fährt im in die Berge, wo die Familie eine Skihütte hat. Sie muss schön sein, polyglott und mondän, reich und begehrenswert. Betti reist los, nach Monaco, um sie jetzt endlich kennenzulernen. Doch am Bahnhof wartet eine unförmig dicke, unattraktive und schlaffe junge Frau, die sich Nicole nennt, das Chateau erweist sich als die absteigengleiche Mietwohnung von Nicoles Mutter vor den Toren Monacos – und Bettis bezaubernde Brieffreundschaft enthüllt sich zur dreisten Lüge. Verzweifelt bricht sie auf und aus, badet im Freibad von Monaco und reist schliesslich weiter im Süden, an der Côte d’Azur, trifft auf andere, ungewöhnliche Menschen, denen sie sich zeitweise anschliesst. Sie wird zu September Nowak, dem jahrelangen Sehnsuchtsbild, erfindet Geschichten, schlüpft in eine neue Identität wie ein sich ständig veränderndes Kleid, treibt wie im Fieber durch den sonnenwarmen Süden und weiss manchmal selbst nicht, was echt und erfunden ist in diesem Abenteuer. Und findet am Ende aus der Enttäuschung und Camouflage heraus … sich selbst.
„Ein langer Brief an September Nowak“, ein ausgesprochen schön gestaltetes Buch, ist das Romandebüt von Markus Berges. Berges? Ja richtig, der Sänger der Band Erdmöbel, die zuletzt mit dem Album „Krokus“ begeisterte. Aus welchselnden Perspektiven wird die Geschichte von Betti Lauban erzählt, die irgendwo in den 80er/90er Jahren angesiedelt ist und komplett ohne die Segnungen unseres digitalen Zeitalters (Handy, Internet) auskommt. Auf dem ersten Blick eine Coming-of-Age-Geschichte, wird der „Lange Brief“ zu einem rätselhaften literarischen Roadmovie und zur melancholischen, tragikomischen Geschichte einer Entzauberung, die die Protagonistin zu sich selbst führt und ganz nebenbei auch die Frage aufwirft, was das eigentlich ist: Identität. Geschrieben in einer bestechend schönen, poetischen Sprache, kann man sich dem Sog der verschachtelten, komplex konstruierten Geschichte kaum entziehen, die nicht nur Betti Laubans Leben zwischen Realität und Fiktion osszilieren lässt, sondern in die Romanfiktion auch noch echte, prominente Personen einbindet, um das Verwirrspiel komplett zu machen. Eine wunderbares Romandebüt, dem hoffentlich bald das nächste Buch folgt.
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