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Gebrauchsanweisung für die Welt / Andreas Altmann

„Reisen verblödet. Das ist so wahr wie das Gegenteil. Weil so mancher darauf besteht, nur das zu sehen, was er bereits weiß. Zu wissen glaubt. er umrundet zehn Mal den Globus und landet immer wieder als derselbe Ignorant, als der er vor Urzeiten von Bord gegangen war. Das ist wie mit einem Kind, das zur Schule geht. Passt es nicht auf, wird es nichts lernen. Nie. Nicht anders der Erwachsene, der die Welt besucht. Er muss es achtsam tun, erpicht, er muss hungern und dürsten nach Wissen und Weisheit, nach allem, was herzugeben sie bereit ist. Hinschauen reicht nicht. Wie das (wache) Kind muss er fragen, fragen, fragen. Tut er das hartnäckig genug, wird er begreifen, dass wir – er und die vielen anderen – uns ziemlich ähneln. Und: dass wir uns gleichzeitig gewaltig voneinander unterscheiden. Das macht den Reichtum der Welt aus.“

Nicht selten findet man unter den „Gebrauchsanweisungen“ aus dem Piper-Verlag wahre reiseliterarische Preziosen: so eine ist die „Gebrauchsanweisung für die Welt“ von Andreas Altmann, die man jedem in die Hand drücken sollte, der sich aufmacht, unseren blauen Planeten zu bereisen und zu entdecken.
Altmann schreibt über den Unterschied zwischen dem Reisenden und dem Touristen, über den Zauber fremder Sprachen und das Glück, sie sprechen zu können, über notwendiges und überflüssiges Gepäck, Drogen, Wetter, Essen und den auf Reisen allgegenwärtig verlockenden Eros, dem stets die spätere, sehr wahrscheinliche Ernüchterung innewohnt, wenn man sich je wieder begegnet. Ihn beschäftigt das mögliche Unbill des Reisenden mit seinem Körper und die unerwartete Hilfe, die absolute Notwendigkeit, immer wieder Fragen zu stellen und sich mit den Gefahren eine Reisen, mit Angst und Gewalt auseinanderzusetzen.
Fremd ist ihm das moderne Bedürfnis vieler, immer und überall „connected“ zu sein, online und permanent auf Sendung selbst in der abgelegensten Wüste, konsequent dem Gefühl der Einsamkeit ausweichend und damit dem Hier, dem Jetzt, dem konkreten Ort im konkreten Augenblick und der Chance auf tiefe Erlebnisse und Empfindungen. Er berichtet von Erfahrungen mit Grenzern und Beamten, von Notlügen, Tricks und Kniffen, von Liebe in der Wüste und dem Vergnügen, mit dem Zug zu reisen statt mit dem Flugzeug. Zwischen den Zeilen jedoch ist sein Buch auch und immer wieder eine Auseinandersetzung damit, was intensives Reisen ausmacht, worin das Glück der Reise liegt oder liegen kann:

„Früher, in anderen Jahrhunderten, galt als weise, wer der Welt den Rücken zukehrte. Um ihr, dem christlichen „Jammertal“, zu entkommen,. Heute wissen wir, dass wir ausser diesem Planeten nichts haben. Ans „Jenseits“ glauben nur noch jene, die auch im Himmel gerne als Schaf auftreten. Das Himmelreich des Reisenden ist das Diesseits: die magische Kugel, die so viele Blicke auf sie erlaubt. “ (a.a.O., S. 13)

Spürbar ist dabei stets, wie wichtig das Reisen für Altmann ist als Lebensform, als Haltung, der Welt zu begegnen und sich auf sie einzulassen, jenseits aller lebenslangen Absicherungen und Versicherungen, mit denen der moderne Mensch sein Leben verbringt, den Tod verdrängen, auf Intensität wartend und doch eigentlich schon nicht mehr gegenwärtig, nicht mehr am Leben:

„Solide eingerichet in tausend Ängsten, warten sie auf die Zukunft. Das ist wunderlich absurd, denn jeder weiß, dass es eine Zukunft nicht gibt. Noch nie hat ein Mensch in ihr gelebt, er lebt immer und ausschließlich in der Gegenwart. Wenn er denn lebt. Schon überraschend, die Widerborstigkeit, mit der so viele vor dieser Wirklichkeit davonrennen, sie aussitzen. Aber wie jemanden zum Leben erwecken, der lieber bei lebendigem Leib tot ist?“ (S. 132)

Für einen Reiseschriftsteller wie Altmann gehört natürlich auch die Sprache, das Schreiben dazu. Viele tun dies auf Reisen, viele in Blogs, manche in Büchern und viele haben außer dem „Ich war hier“ nicht viel mehr zu bieten als Banalitäten. Altmann, der Profi, reflektiert klug und mit erkennbarer Leidenschaft darüber, was einen guten Reiseschriftsteller ausmacht und schafft im kurzen Kapitel „Reisen und Schreiben“ mit wenigen Sätzen Grundregeln guten Schreibens aufzustellen, die zu beherzigen nicht wenigen Reiseschriftstellern und ihren lauen Werken gut getan hätte.

„Manche verschenken einen Diamantring, andere einen ganzen Satz. Würden man die beiden […] nebeneinanderlegen: Sie funkelten ganz sicher um die Wette.“ (S.121)

Die „Gebrauchsanweisung für die Welt“ ist mehr als eine Art globaler Reiseführer. Es ist gleichzeitig eine leidenschaftliche Aufforderung, die Augen zu öffnen, sich einzulassen auf die Welt und ihre wirklichen Reichtümer, ihre Zumutungen, Befremdungen, Beglückungen. Mit offenem Herzen reist der von mir sehr geschätzte Autor seit Jahren um die Welt und schreibt darüber Bücher, die von einer genauen Beoachtungsgabe und dem Blick für das zunächst Beiläufige, Unscheinbare und doch zutiefst Wesentliche zeugen, in einer wunderbaren Sprache, die präzise, poetisch und unmittelbar zugleich ist, polemisch zuweilen, selbstkritisch und grundehrlich. Dabei findet er Worte, Sätze, die man sich in Stein meisseln und vor die eigene alltagsroutinerte Birne hängen möchte, so wunderbar sind sie.

„Manche verschenken einen Diamantring, andere einen ganzen Satz. Würden man die beiden […] nebeneinaderlegen: Sie funkelten ganz sicher um die Wette.“ (S.121)

Was Altmann uns mit jedem seiner Bücher und auch mit diesem einen schenkt, ist eine ganze sprachliche Diamantenmine. Und wenn man auch keine Möglichkeit hat zu reisen oder so frei und ungebunden zu reisen wie Altmann, so ist sein Buch, randvoll mit Reiseerlebnissen und klugen Reflexionen, doch eine einzige, temperamentvolle und mit Verve vorgetragene Aufforderung dazu, der Welt mit offenen Augen zu begegnen, sich immer wieder ganz dem Augenblick und der Gegenwart hinzugegeben in diesem einen kurzen Leben, das wir haben.

„So schließt sich der Kreis, denn was bietet mehr Chancen für – bisweilen haarsträubende – Intensität, als die Welt zu durchstreifen, die endlose Schatztruhe? Trägt nicht das Unterwegssein ein heimliches Versprechen in sich? Auf dass wir ‚Dinge‘ finden, die wir vorher nicht einmal ahnten? Weil wir ihnen nirgendwo anders begegnen als in der (fernen) Wirklichkeit. Die riecht. Die anmacht. Die Angst macht. Die begeistert. Die eben immer wieder, trotz allem, diese Wogen der Sehnsucht auslöst“ (S. 156)

12 Kommentare zu “Gebrauchsanweisung für die Welt / Andreas Altmann

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  2. Wer Zeit und Geld zum Reisen hat, erlebt die Reisewege und -ziele anders, als der Urlauber, der sich nur erholen will, Sonne haben will und sonst nichts. Zu oft wird nicht einmal die fremde Küche ausprobiert.
    Das ist schade, aber schwer zu ändern.
    Ich beneide die Menschen, die sich ein halbes Jahr Zeit nehmen können, ein Land oder einen Landstrich bereisen, das Erlebte aufsaugen und in irgendeiner Form verarbeiten.
    C.H.

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    • Das stimmt. Altmann geht auch darauf ein – und sehr differenziert. Die Welt zu bereisen und anderen Menschen intensiv zu begegnen ist schon ein Traum … schöner jedenfalls als viele banale Geld-Haus-Auto-Träume, die nur darauf zielen, sein Leben ohne viel Denken hinter sich zu bringen.
      Herzlich grüsst
      Jarg

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