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Hoffnung Mensch : eine bessere Welt ist möglich / Michael Schmidt-Salomon

Die Kultur steht nicht im Widerspruch zur Natur des Menschen, sondern ist Ausdruck seiner biologischen Veranlagung. […] Sie ist so sehr Teil der Natur, dass wir uns einen Menschen ohne Kultur ebensowenig vorstellen können wie einen Elefanten ohne Rüssel oder einen Schmetterling ohne Flügel. (S.96)

Das Jahr 2014 zähhlt von der Bilanz an menschengemachten Unglücken, Katastrophen und Kriegen nicht unbedingt zu den Jahren, die man zu den Glanzzeiten der Menschheit zählen würde. Insofern mag es manchem vermessen vorkommen, ein Buch mit dem Titel „Hoffnung Mensch“ zu veröffentlichen, wo die Welt doch derzeit scheinbar so düster ausschaut. Und dennoch: das hier vorgestellte Buch des von mir sehr geschätzten Philosophen und Sprechers der Gioardano-Bruno-Stiftung gehört für mich zu den herausragenden Werken zeitgenössischer Philosophie, weil es intellektuellen und sprachlich-ästhetischen Genuss gleichermaßen bietet und die Augen öffnet für das, was man angesichts des Unbills dieser Welt leicht übersieht: die Menschheit ist durchaus weitergekommen und hat das Potential, ihre Welt auch in Zukunft durchaus positiv weiter zu entwickeln.

Schmidt-Salomon setzt im ersten Teil des Fokus auf die besonderen Nöte des „tragischen Tieres“ Mensch, das um die Endlichkeit seiner Existenz weiß und vor der Absurdität seines Daseins und der Ungerechtigkeit der Welt steht, verzweifelt nach Sinn suchend, wo (zunächst) keiner ist. Er rekurriert auf die Wurzeln der menschlichen Kultur, um sich dann mit Aufstieg und Fall des Humanismus zu beschäftigen, dem er Julian Huxleys Alternative eines evolutionären Humanismus entgegensetzt, der hoffnungsvolle Wahrheiten den trostlosen Illusionen tradierter Ideologien und Glaubenssysteme entgegensetzt.

Von dort ausgehend, unterzieht er die angebliche „Bestie Mensch“ einer eingehenden Untersuchung und kommt zu dem Schluss, dass wir besser sind als wir gemeinhin glauben: als Tier haben wir im Laufe der Evolution Bewusstsein entwickelt, uns als ausgesprochen erfinderisch und neugierig erwiesen. Glaubenssysteme zur Beschwichtigung irgendwelcher kosmischer Kräfte haben sich dabei mehr und mehr als obsolet erwiesen, auch wenn sich immer noch ein Teil der Menschheit aufgrund einfacher Schlußfolgerungen darauf zurückzieht, wie er am berühmten Experiment zur abergläubischen Ratte von Paul Watzlawicks deutlich macht:

Die Parallelen von Ritualen, die Menschen zelebrieren, um die „Götter“, die „Natur“ oder das „Schicksal“ gnädig zu stimmen, sind offensichtlich. Allem Anschein nach ist unser Gehirn so sehr auf die Herstellung von Zusammenhängen programmiert, dass wir leicht der Versuchung unterliegen, einer zufälligen Abfolge von Ereignissen Bedeutung beizumessen (eine Neigung, die von der Esoterik-Branche leidlich ausgenutzt wird). Allerdings hat der Mensch wirksame Strategien entwickelt, um den Realitätsgehalt seiner Vermutungen zu überprüfen, was im Zuge der kulturellen Evolution zu bemerkenswerten Erkenntnisfortschritten geführt hat. (S. 105)

Er streicht im zweiten Teil des Buches auch die Evolution des Bewußtseins von Freiheit und Gerechtigkeit heraus, die zur Entwicklung von zunehmend mitfühlenden Menschen und dem Kampf um Freiheit und Gleichheit geführt hat. Gleiches gilt für die Sinnlichkeit des Menschen, die die „Wunderwelt der Kunst“ hervorbrachte und zur Ästhetisierung des Lebens und der weltweit in den unterschiedlichsten Ausprägungen und Stilen entstandenen Musik führte.

Wir sind daher in besonderem Maße sinnliche Tiere, die danach trachten, nicht bloß zu überleben, sondern ästhetisch ansprechende Erfahrungen zu machen und diese auch anderen zu bereiten – vor allem, wenn wir mehr von ihnen wollen als nur ein gutes Gespräch. (S. 192)

Ausgehend von diesen beiden der Evolution des menschlichen Bewußtseins und der menschlichen Kultur gewidmeten Kapiteln, setzt Schmidt-Salomon im dritten Teil den Schwerpunkt auf den Nachweis hoffnungmachender Fakten. Dabei blendet er die zerstörerischen Aspekte menschlicher Kultur und der Dominanz des Ökosystems Erde durch die Alphaspezies Mensch nicht aus. Dennoch sieht er mögliche Wege aus der Krise gerade in der Aufklärung und einer auch von gemäßigten Religiösen immer mehr unterstützten allgemeinen Säkularisierung politisch-gesellschaftlicher Prozesse und Systeme. Am Ende steht für ihn ein von seiner aufgeklärten Sichtweise bestimmtes humanistisches Credo, dass dem Glauben an die Menschheit eine überkonfessionelle, ideologiefreie Weltsicht an die Seite stellt:

Gibt es irgendeine Erzählung in irgendeiner Religion, die dem „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ so nahe kommt wie die rationale Erhellung der Sachverhalte im Rahmen der Kosmologie oder Evolutionsbiologie? Wer die grandiosen Dimensionen, die uns die wissenschaftliche Weltsicht heute eröffnet, nicht nur intellektuell begriffen hat, sondern auch die Tiefe und Erhabenheit spürt, die in dieser Weltsicht liegt, entwickelt eine besondere Form von „Religiosität“, die mit dem, was traditioneller Weise unter „Religion“ verstanden wird, schwerlich in Einklang zu bringen ist. Es handelt sich hierbei um jene Form von „Religiosität“, von der schon Giordano Bruno, Spinoza und Albert Einstein gesprochen haben und die, wie gesagt, in bemerkenswerter Weise mit den mystischen Traditionen harmoniert, die sich – ot in scharfem Kontrast zu den vorherrschenden
Glaubensdogmen – in nahezu allen Religionen entwickelt haben. (S. 320ff)

Hoffnung für die Menschheit sieht er letztlich darin, dass wir unserem Leben im Angesicht des Absurden Sinn in der Gegenwart geben und nicht darüber hinauszustreben versuchen, unserem Dasein auch einen höheren Sinn nach unserem Ableben und darüber hinaus zu geben. Auch wenn Schmidt-Salomon die Religionen wie in seinen vorhergehenden Büchern durchaus als Teil unserer kulturellen Schatzkammer zu würdigen und wertschätzen weiß, sieht er im Aufflackern gerade der religiös-fundamentalistischen Bewegungen letztlich nur den Beweis für den massiven Verlust an Deutungshoheit und Welterklärungspotential, den die Religionen in den letzten zweihundertfünfzig Jahren erlitten haben. In dem durchaus mystisch geprägten Bewusstsein unserer kurzen Existenz vor dem Hintergrund eines Universums, dem wir völlig gleichgültig sind, dem wir aber mit unserer Neugier und unserem Wissensdurst begegnen, bekommt jedoch nicht nur das einzelne Leben Bedeutung aus unserer Sinnlichkeit heraus – aus der Fähigkeit, die Welt zu erkennen, zu „schmecken“, zu erforschen.

Denn für uns hat das Leben stets Bedeutung – und zwar aus einem einfachen biologischen Grund: weil wir die Differenz zwischen Wohl und Wehe kennen. Ohne sinnliche Empfindungen gäbe es keinen Sinn, unser Dasein wäre völlig bedeutungslos, es würde uns ebensowenig interessieren, wie es einen Kühlschrank, Staubsauger oder Schachcomputer kümmert, ob er morgen noch funktioniert oder schon entsorgt wird. Aus alldem ist zu folgern: Das Absurde resultiert nicht daraus, dass es keinen über den Tod hinausweisenden Sinn gibt, sondern vielmehr aus der irrigen Denkannahme, dass es einen solchen, über den (kollektiven) Tod hinausweisenden Sinn geben könnte oder gar müsste. Denn der Sinn des Lebens ist an das Leben selbst gebunden, weshalb das Ende der Sinnlichkeit notwendigerweise auch mit dem Ende des Sinns einhergeht. Sollte uns das bekümmern? Ich wüsste nicht, warum, denn ohne sinnliche Wahrnehmung ist der Verlust des Sinns nichts, was wir erleiden könnten. (S. 326ff)

Eben diese Sinnlichkeit ist es auch, die uns aus der Falle der Irrationalität führen kann und mithilfe der Erkenntnis damit den möglichen Zeithorizont der Menschheit, die eines Tages sicher aussterben wird, auszudehnen vermag.

Schmidt-Salomon ist mit „Hoffnung Mensch“ ein wunderbares und tief berührendes Buch gelungen, das mit zahllosen Belegen den Glauben an guten Seiten und die Potentiale der Spezies Mensch unterstützt und aufräumt mit dem schlechten Bild, dass viele Religionen und Kulturpessimisten vomMenschen zeigen. Bei aller berechtigten Kritik an den negativen Seiten der Menschheit, die mittlerweile das Ökosystem Erde dominiert: der Autor legt überzeugend dar, warum der Mensch in seiner Anlage und seiner über die zig Jahrtausende überwiegend positiven Evolution zu dem mitfühlensten, kreativsten, humorvollsten und schlauesten Tier des Planetens alle Voraussetzungen mitbringt, um die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu meistern. Damit legt er endlich einen Gegenentwurf zu all jenen vor, die dem Menschen überwiegend negatives, böse Seiten zuschreiben und so völlig außer Acht lassen, was an positiven Entwicklungen schon da und noch möglich ist. Damit ist sein Buch gleichzeitig ein Plädoyer dafür, sich nicht in Fatalismus und Irrationalität zu flüchten, sondern sich für dieses besondere Tier namens Mensch und sein Überleben zu engagieren. Schmidt-Salomon zeigt auf, was der Mensch erreicht hat und welches Potential es noch in uns zu wecken gibt!

Anregend und intellektuell brilliant geschrieben, begeistert das sprachlich schöne Buch auch mit seiner Verständlichkeit und Anschaulichkeit: begeistert haben mich besonders die wunderbaren, zugleich sachlichen und unerwartet poetischen Passagen im Kapitel über Kunst und Musik, die ich in einem philosophischen Buch dieser Klasse nicht erwartet hätte.

2 Kommentare zu “Hoffnung Mensch : eine bessere Welt ist möglich / Michael Schmidt-Salomon

  1. Ich habe das spannende „Leibniz war kein Butterkeks“ das er mit seiner Tochter zusammen geschrieben hat, vor einer Weile gelesen und war sooo begeistert. Und dann Buch verliehen, Buch weg 😦 Ich denke, ich sollte mir dieses hier ggf als „Ersatz“ zulegen, denn es klingt sehr sehr gut. Ich habe einen Ausschnitt aus „Humanismus Reloaded in „Denkanstösse 2015“ gelesen und für gut befunden, aber vielleicht mag ich doch zuerst die bessere Welt … 🙂

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    • „Leibniz ist ein Butterkeks“ habe ich bisher noch nicht gelesen. Schätze, das sollte ich bald mal nachholen – bevor meine Tochter und mein Sohn noch neugieriger werden auf die Welt als eh schon … 😉
      Viel Freude, Anregung und innere Bereicherung mit der Lektüre von „Hoffnung Mensch“ wünscht Dir
      Jarg
      PS: … und nie, niemals nicht Bücher privat verleihen … ich mach das beruflich und das ist schon schlimm genug 😉

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