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On the move : Mein Leben / Oliver Sacks

And now, weak, short of breath, my once-firm muscles melted away by cancer, I find my thoughts, increasingly, not on the supernatural or spiritual, but on what is meant by living a good and worthwhile life — achieving a sense of peace within oneself. I find my thoughts drifting to the Sabbath, the day of rest, the seventh day of the week, and perhaps the seventh day of one’s life as well, when one can feel that one’s work is done, and one may, in good conscience, rest. [Quelle: Sabbath. In: The New York Times. Sunday Review, 14. August 2015

Was habe ich seine Bücher verschlungen! Der britische Neurologe, Schriftsteller und Essayist Oliver Sacks, der am 30. August verstarb, vermochte mit seinen Fallgeschichten wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor das Interesse an den Hintergründen komplizierter Krankheitsbilder zu wecken und an der Neurologie im Allgemeinen. Im Fokus standen dabei neurologisch bedingte Erkrankungen, die sich in Wahrnehmungsstörungen, besonderen Fähigkeiten oder psychischen Beeinträchtigungen manifestierten. Seine anekdotenhaften Essays waren dabei spürbar von ungemein großer wissenschaftlicher Neugier, zugleich aber auch
einer tiefen Menschenliebe und Empathie geprägt, die dem vermeintlich Normalen stets auch das subjektive Einzelschicksal entgegenstellte und so unsere von Normen und Standards geprägte Weltwahrnehmung infrage stellte. Mit seinen Büchern nahm er eine Tradition aus dem 19. Jahrhundert wieder auf, in der wissenschaftlichen Betrachtung den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen. wer von der tiefen Verbindung zwischen der modernen Wissenschaft und der Romantik weiß, kann nachvollziehen, warum sein russischer Bruder im Geiste – Alexander Lurija – in diesem Zusammenhang von der „romantischen Wissenschaft“ sprach.

Mit „On the move“ legte er Anfang diesen Jahres seine Autobiografie vor, die naturgemäß stark verknüpft ist mit seinem Leben als Arzt, Forscher und Schriftsteller. Der aus einer britischen Arztfamilie stammende Sacks berichtet fesselnd und mit großer Offenheit über sein Leben, dass ihn aus dem puritanischen England der Nachkriegszeit ins sonnige Kalifornien und schliesslich nach New York führte. Dabei gilt, was auch für seine Fallgeschichten galt: mit großer Offenheit zeigt Sacks seine Erzählkunst und lässt uns teilhaben an seinem Werdegang.

Das Buch scheint auch für ihn zu einer Spurensuche geworden zu sein, der er sich ebenso akribisch wie empathisch widmet wie seinen Fallgeschichten – nicht selten in der Rückschau selbst überrascht darüber, wie er als junger Mensch dachte, empfand und lebte. Seine Herkunft aus einer großen jüdischen Familie wird dabei ebenso zum Thema wie seine Homosexualität, die im Alter nach einigen unglücklichen Liebesgeschichten und langjähriger Einsamkeit doch noch eine glückliche Entsprechung in der Liebesbeziehung zum Autor Billy Hayes findet. Sacks, der sich als extrem schüchtern beschreibt, erzählt auch von seinen Drogenexzessen aus den 1960ern und 1970ern, extremem Krafttraining in Kalifornien und seiner Motorradleidenschaft, die ihn immer wieder auf die Straßen Nordamerikas führte.

Natürlich wird auch sein erstaunlicher Werdegang als Schriftsteller sichtbar: vom ersten Migränebuch über die Geschichten, die ihn berühmt machten wie „Awakenings“, „A Leg to Stand On“ oder „The Man Who Mistook His Wife for a Hat“ bis hin zu den neueren Büchern „The Minds Eye“ und „Hallucinations“, die sich mit dem Sehen bzw. Hören auseinandersetzten.

Beeindruckt liest man dieses uneitle, nicht selten über sich selbst erstaunte, ja zuweilen erschrockene Resummee einer Lebensleistung, tief berührt von der Offenheit des Autors und seinem Mut, trotz seiner Leberkrebsdiagnose solange weiterzuschreiben, wie es eben geht. Eine Haltung, die sich auch in seinem Buch „Das innere Auge“ (2011) niederschlägt, das auch geprägt war vom tumorbedingten Verlust seiner Sehfähigkeit auf einem Auge und damit des stereoskopischen Sehens, was ihn nicht davon abhielt, seiner Erkrankung und ihren Folgen mit einer Art erschrockender Neugier zu begegnen. Sein letzter Artikel erschien dann auch am 14. August, zwei Wochen vor seinem Tod, in der New York Times. Weitere Essays und Bücher sollen posthum erscheinen.

Ein wunderbares, tief berührendes und spannendes Buch und vermutlich das letzte Zeugnis dieser Art von einem Autor und Menschen, den man – in Anlehnung an einen Filmtitel – ohne Frage als „A Beautiful Mind“ bezeichnen kann.

PS: Einige seiner Bücher sind auf Jargsblog unter diesem Link rezensiert.

6 Kommentare zu “On the move : Mein Leben / Oliver Sacks

    • Danke schön für das Kompliment! Ja, ich war auch erstaunt über die 37 Jahre ohne Liebe … dennoch scheint sein Leben ausgefüllt und am Ende auch auf diese Weise glücklich gewesen zu sein.

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  1. Von Oliver Sacks habe ich bisher leider nur „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ gelesen. Ein tolles Buch. „On the Move“ werde ich aber definitv auch lesen. Der von Dir verlinkte NYT-Artikel allein zeigt, dass Sacks ein großartiger Autor war.

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    • Sscks war wirklich ein besonderer Autor. Ich habe fast alles von ihm gelesen und war jedesmal sehr beeindruckt, mit welcher fast kindlichen Neugier sich dieser Mensch durch die Welt bewegt hat.

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