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Heiliger Zorn: Wie die frühen Christen die Antike zerstörten / Catherine Nixey

Zerstörte religiöse Stätten und Skulpturen, Bücherverbrennungen, Vernichtung wertvoller Kunstwerke, brutale Jagd auf Anders- und Ungläubige, verbunden mit Hass, Intoleranz, Spitzelwesen und dem unbedingten Bestehen darauf, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein. Was auf den ersten Blick in der Zusammenfassung klingt wie ein Bericht über die Taliban oder den Aufstieg des islamistischen Daesh (aka Isis oder IS) und seine Folgen für den Nahen Osten und die Welt, ist tatsächlich eine Abrechnung mit dem frühen Christentum, das entgegen landläufigem Wissen eine recht düstere Geschichte hat.

Die britische Historikerin Catherine Nixey hat zahlreiche der wenigen erhaltenen antiken Texte ausgewertet und kommt zu einem vernichtenden Urteil: die frühen, überaus fanatischen Christen, denen heute immer eine tatsächlich nur kurz währende und bei weitem nicht so umfassende Verfolgung durch die Römer attestiert wird, sind maßgeblich mitverantwortlich für den Untergang der Antike, ihrer Kultur, Wissenschaft und Philosophie. Überzeugt, die einzige gültige Glaubensrichtung zu vertreten, zerstörten sie Kultobjekte, Tempel und Statuen. Fanatische Mönche bildeten mancherorts regelrechte Schlägertrupps, die andersgläubige Römer aufsuchten und drangsalierten. Nach und nach errichteten sie so im gesamten römischen Reich eine Kultur des Hasses auf alles, was den biblischen Geboten zuwiderlief: Menschen wurden unter Druck gesetzt, zu konvertieren, wurden mißhandelt, gefoltert und getötet.

Auch an Objekten tobte sich der Fanatismus aus: Statuen wurden geköpft, verstümmelt und mit eingeritzten Kreuzen versehen, freizügige Bilder zerstört, Kunstwerke vernichtet und ganze Bibliotheken verbrannt: von den antiken Schriften ist uns so nur ein Bruchteil erhalten geblieben – um dessen Erhalt sich die entstehenden Klosterbibliotheken auch entgegen moderner Darstellung viele Jahrhunderte lang nicht besonders intensiv bemühten. Wo die Römer dazu neigten, fremde Kultue durch Assimilation zu tolerieren, forderten die Christen unter Androhung von Folter und Tod unbedingte Unterwerfung. Erschütternd ist auch der Umgang mit der erste Ansätze von Modernität zeigenden Wissenschaft und mit der zeitgenössischen, überaus vielfältigen Philosophie: die überaus modernen Erkenntnisse etwa eines Demokrit (Atomismus) etwa wurden vernichtet und sind nur durch einen glücklichen Zufall in Form von Lukrez nur in einem einzigen Exemplar erhaltenen, zu Beginn der Renaissance entdeckten Exemplar von „De Rerum Natura“ des Lukrez überliefert. Überhaupt ist nur ein Bruchteil des griechischen und lateinischen Schriftguts bis in die heutige Zeit überliefert: viele Schriften wurden zerstört oder abgeschabt, um religiöse werke darauf kopieren zu können, und die Klosterbibliotheken waren so zumindest in den ersten Jahrhunderten des Christentums weniger Stätten der Bewahrung als solche der Zerstörung. Auch Philosophen wurden vielerorts gezwungen, in die Heimlichkeit abzutauchen, bis sich am Ende auch die berühmte Akademie Athens auflösen musste und sich ihre Lehrer in alle Himmelsrichtungen verstreuten.

Akribisch fördert Nixey die Zeugnisse antiker Autoren zutage, die über das Geschehen ebenso entsetzt waren wie christliche Autoren verzückt, die die Zerstörung feierten und in der Bildungslosigkeit, dem Analphabetismus das Heil für die Menschheit sahen. In sorgfältiger Auswertung der Quellen, die von den mit Vorsicht zu genießenden Heiligenlegenden über christliche Autoren wie Augustinus bis hin zu den spitzzüngigen Kommentaren des Kelios reichen, zeichnet die Autorin das Bild vom Untergang der antiken Kultur, deren kulturelle und geistige Errungenschaften erst viele hundert Jahre später wieder entdeckt wurden und den Grundstein für eine aufgeklärtere Periode der Menschheitsgeschichte legten. Ein in mancherlei Hinsicht aktuelles Buch, das mit einigen Mythen über das frühe Christentum gründlich aufräumt, historische Zusammenhänge gerade rückt und einen am Ende betrübt und ein wenig wütend zurücklässt: betrübt, weil so viele wertvolle kulturelle Errungenschaften zerstört oder verschütttet wurden, wütend, weil es viele Jahrhunderte gedauert hat, bis die Menschheit auf dem wenigen, was von der Antike übrigblieb, aufbauen konnte.

Ein lesenswertes und überaus bereicherndes und anregendes Buch, das ich kaum aus der Hand legen mochte und gerne empfehle.

2 Kommentare zu “Heiliger Zorn: Wie die frühen Christen die Antike zerstörten / Catherine Nixey

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